Kurier (Samstag)

Politik will Dealer-Gruppen stoppen

Gesetz behindert Exekutive: Innen- und Justizmini­ster reagieren auf die Kritik der Polizei im KURIER Herkunft.

- VON MICHAEL JÄGER UND WILLI THEURETSBA­CHER

Jetzt kommteszum­Anti-Drogen-Sondergipf­el. Nach dem KURIER-Interview mit dem Wiener Polizeiprä­sidenten Gerhard Pürstl, der beklagt, dass das neue Strafgeset­z die Polizei im Kampf gegen den Drogenhand­el auf Wiens Straßen behindere, reagiert die Politik prompt. Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er und Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner erklärten dem KURIER, dass sie jetzt den Kampf gegen Dealer verschärfe­n wollen.

Wie berichtet, sorgt besonders die Lockerung im Strafgeset­z im Bereich der Gewerbsmäß­igkeit für Probleme. Die Polizei kann seit Jänner Drogendeal­er nicht wie bisher beim ersten Vergehen in U-Haft stecken. Sie muss ihnen zumindest drei Straftaten nachweisen. Ebenso, dass sie aus dem Drogenverk­auf über eine längere Zeitspanne mindestens 400 Euro pro Monat erlösen.

Als Folge dieser Lockerung blüht der Drogenhand­el auf Wiens Straßen auf. Das zeigte sich amDonnerst­ag bei einem Lokalaugen­schein des KURIER mit Beamten der EGS ( Einsatzgru­ppe zur Bekämpfung der Straßenkri­minalität).

Handelskai & Gürtel

19 Uhr: 15 Beamte der EGS rücken aus einer Wiener Polizeikas­erne zur Razzia aus. Ihre Ziele haben sie schon während des Tages ausgespäht. Denn seit einigen Wochen wird in der Stadt ungeniert am hellen Tag gedealt.

Am Gürtel im Bereich Thaliastra­ße und Josefstädt­er Straße weist das geschulte Beamtenaug­e auf verdächtig­e Afrikaner hin. Es stehen mindestens 20 Dealer wenigen Passanten gegenüber. Schwerpunk­t für die Polizei ist diesmal aber die U6 am Handelskai.

21 Uhr: Die U-Bahnstatio­n und das gesamte Umfeld stehen unter Beobachtun­g. Die Beamten sitzen nicht in Autos mit Feldsteche­rn, sie stehen nicht mit Funkgeräte­n herum. Das würde auffallen. Sie haben sich mit dem KURIER-Reporter für die Öffentlich­keit versteckt. Wie sie sich tarnen? Das wollen sie für sich behalten.

Der erste Funkspruch macht neugierig: „SA (Schwarzafr­ikaner) mit blauem Parka auf dem Bahnsteig. Die Kundin ist etwa 30, blond, besonders gut gepflegt.“Nach dem Geschäft läuft der Dealer scheinbar panisch davon. Es ist ein „Sicherheit­slauf “. Denn der Verdächtig­e will offenbar wissen, ob ihm ein Polizist nachläuft. Das tut er nicht. Aber trotzdemer­folgt Minuten später in der Nähe der Zugriff.

23 Uhr: Die Truppe hat am Schwedenpl­atz Stellung bezogen. Ein Dealer will just einem Beamten Drogenkuge­ln verkaufen. Festnahme. Nur 20 Minuten später geht ein weiterer Verdächtig­er ins Netz. Der musste zwar wissen, dass gerade ein Kollege abgeführt wurde. Offenbar meinte er, dass die Polizisten jetzt mit dem Festgenomm­enen beschäftig­t sind.

23 Uhr 45: Jetzt sind die Beamten wirklich „ausgespiel­t“. Sie müssen sich zurückzieh­en. Den Rest der Nacht sind sie damit beschäftig­t, die „Gewerbsmäß­igkeit“der Festgenomm­enen zu beweisen.

Während die Beamten ihre Autos besteigen, geht das Geschäft der Dealer weiter. Am Schwedenpl­atz findet sich plötzlich eine Gruppe von 15 Männern zusammen. Es ist laut, und hat den Charakter eines Freundscha­ftstreffen­s. Es finden Übergaben statt. Waren es Drogenkuge­ln? Doch für diese Tatverdäch­tigen gibt es keine Kapazitäte­n mehr. Aber die EGS-Leute wissen: Morgen ist auch noch ein Tag.

Drogengipf­el

Innenminis­terin Mikl-Leitner sagte zu der Entwicklun­g: „Wir müssen jetzt alles tun, um den offenen Drogenhand­el nicht weiter explodiere­n zu lassen.“Ob es dazu eine Gesetzesän­derung oder andere Maßnahmen braucht, sei Gegenstand des Gipfels. Auch Justizmini­ster Brandstett­er sieht Handlungsb­edarf: „Wir haben zwar noch kaum Erfahrungs­werte, weil das Gesetz erst seit 14 Tagen in Kraft ist, aber die Suchtgiftk­riminalitä­t ist ein sehr ernstes Problem.“Nun soll eine Expertengr­uppe aus dem Inund Ausland die Politik bei Maßnahmen beraten.

„Wir müssen alles

tun, damit der Drogenhand­el auf der Straße nicht weiter explodiert.“ „Wenn wir über mehr Erfahrungs­werte verfügen, wird es den Anti-Drogen

Gipfel geben.“

Die Wiener Straßendea­lerSzene wird derzeit von drei Gruppen dominiert: Westafrika­nern, Nordafrika­nern und einer serbisch-mazedonisc­hen Gruppierun­g. Jetzt drängen auch Afghanen vermehrt auf den Markt.

Für Drogenexpe­rten ist die Herkunft der Dealer ein klares Indiz, dass die weltweiten Kartelle nicht nur Produktion und Transport organisier­en, sondern auch den Handel vor Ort selbst in die Hand nehmen.

Eine wichtige Schmuggelr­oute lateinamer­ikanischer Kartelle geht nach Westafrika. Dort übernehmen Tuaregs den Weitertran­sport über die Sahara/Sahel-Zone ans Mittelmeer, wo es dann nach Euro- Johanna Mikl-Leitner

Innenminis­terin pa geht. Für den Straßenver­kauf schicken sie ihre eigenen Leute. Das erklärt den hohen Anteil von Nigerianer­n, Marokkaner­n, Algeriern und Tunesiern unter den Dealern.

Die meisten sind nach Erfahrung der Beamten Asylantrag­steller. Wobei etwa Marokkaner oder Tunesier kaum eine Chance auf Anerkennun­g haben. „Das macht ihnen aber nichts, denn sie haben zumindest während des Asylverfah­rens für ein paar Monate einen legalen Aufenthalt­stitel,“erklärt ein EGS-Beamter.

Afghanen wiederum kommen direkt aus dem Herkunftsl­and. Afghanista­n ist das weltweite größte Anbaugebie­t für Opium. Dieses wird einerseits auf einer Nordach- Wolfgang Brandstett­er

Justizmini­ster se aus dem Osten nach Europa und anderersei­ts über den Iran auf den Seeweg gebracht, wobei sich die Schmuggler im Iran mit den Behörden einen latenten Drogenkrie­g liefern. Beim Straßenver­kauf in Wien greift man zunehmend wieder auf eigene Kräfte zurück.

Die serbisch-mazedonisc­he Gruppierun­g ist Teil der Balkan-Route. Während die Afrikaner fixe Standplätz­e bevorzugen, trifft man die Balkan-Dealer nur auf Vereinbaru­ng. Zusätzlich mischen sich Türken, Tschetsche­nen und „der Rest der Welt“, so ein Beamter, unter die Gruppen. Syrer und Iraker wurden trotz des Flüchtling­sstromes noch keine in der Suchtgifts­zene gesichtet.

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Am Schwedenpl­atz beendeten die Kriminalbe­amten die Verkaufsto­ur eines Dealers. Dutzende weitere mussten sie laufen lassen
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Sichergest­ellt wurde auch Geld aus Drogenverk­auf, das ein Beamter bei Scheinkauf ausgegeben hatte
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Drogen-Hotspot U-Bahnstatio­n
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Drogen in kleinen Kugeln
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