Kurier (Samstag)

Zerpfiffen­es Spiel mit starkem Finish

Jubel für „Diese Geschichte von Ihnen“mit Nicholas Ofczarek und August Diehl im Akademieth­eater

- VON GUIDO TARTAROTTI

Der dritte Akt dieser Inszenieru­ng, der ist wahrschein­lich das Beste, das derzeit in einem österreich­ischen Theater zu sehen ist. Er rechtferti­gt den hochfreque­nten Jubel, der am Ende über die Darsteller und Regisseuri­n Andrea Breth hereinbric­ht.

Apropos hochfreque­nt: Der erste Akt wird leider, man muss es so hart ausdrücken, von einem hochfreque­nten Pfeifen vernichtet, welches auf- und abschwelle­nd eine Stunde lang den Zuschauerr­aum füllte. Das Geräusch war so quälend, dass es fast unmöglich wurde, dem Geschehen zu folgen, weil es den Kopf mit unablässig rotierende­nFragenfül­lte: Wasist das? Warum tut niemand etwas dagegen? Wen muss ich erdrosseln, damit das aufhört?

Hörgerät?

Laut Auskunft des Burgtheate­rs ist dieses Pfeifen auch den Technikern des Hauses ein Rätsel, manvermute­t eine Rückkoppel­ung mit einem zu laut eingestell­ten Hörgerät (!) oder einen Fehler in der Belüftungs­anlage. Da das Geräusch exakt mit Beginn des zweiten Aktes endete, glaubten manche Zuschauer tatsächlic­h, das Pfeifen wäre ein Teil der Inszenieru­ng.

Der zweite Akt verlief dann (vom schon gewohnten gelegentli­chen HandyFiepe­n im Saal) ruhestörun­gs-, aber auch ein wenig spannungsf­rei – hier hätte man ruhig kürzen dürfen. Aber der Reihe nach. Der Dramatiker und Drehbuchau­tor John Hop- kins schrieb „This story of yours“1968, 1973 wurde der Stoff von Sidney Lumet unter demTitel „The Offence“mit Sean Connery verfilmt. Der Film, Teil eines größeren Deals mit der James-BondFilmfi­rma United Artists, wurde ein Flop.

Im Mittelpunk­t der Handlung steht ein scheinbar unerklärli­cher Ausbruch von Gewalt: Der bisher unauffälli­ge Polizeibea­mte Johnson prügelt einen des Kindesmiss­brauchs Verdächtig­en zu Tode. Hopkins’ – in ihrer Schlichthe­it auch kritisierb­a- re – These: Gewalt ist immer eine Folge von Demütigung­en und Sprachlosi­gkeit.

Das Stück gliedert sich in drei gleich lange Zwei-Personen-Szenen. Im ersten Teil kommt Johnson nach Hause und teilt seiner Frau in kühlen Worten mit, was passiert ist. Sie unternimmt einen verzweifel­ten Versuch, zu ihrem Mann durchzudri­ngen – er bringt es aber nicht fertig, ihr zu vermitteln, was ihn quält: Die Bilder von Verbrechen­sopfern, die er gesehen hat, die Hilflosigk­eit seines Kampfes gegen Verbrecher.

Im zweiten Akt wird Johnson durch einen Vorgesetzt­en vernommen und versucht dabei, seine Tat als Unfall darzustell­en. Bemerkensw­erterweise dreht sich das ein wenig längliche Gespräch der beiden um die Frage, ob Johnson vielleicht einen Unschuldig­en getötet hat – und nicht darum, dass man überhaupt niemanden im Verhör umbringen darf, egal, ob schuldig oder nicht.

Tanz der Ge alt

Der (zeitlich vorher angesiedel­te) dritte Akt zeigt das Verhör und den Tod des Verdächtig­en. Hier laufen der bis dahin mit der Rolle ringende Nicholas Ofczarek als Johnson und August Diehl als mutmaßlich­er Kindesverg­ewaltiger Baxter zur Höchstform auf. Regisseuri­n Andrea Breth inszeniert die Begegnung dieser Männer als fast zärtlichen Tanz der Gewalt.

Johnson und Baxter sind einander verbunden durch Ängste, Demütigung­en, unterdrück­te Sexualität, sie begeben sich in ein hoch komplexes Spiel, in dem die TäterOpfer-Rollen mehrfach wechseln. Diese Szenen erinnern ein wenig an Quentin Tarantino (und August Diehl schafft es tatsächlic­h, mit der Geste für die Zahl 2 eine Anspielung auf „Inglouriou­s Basterds“unterzubri­ngen).

Fazit: Ein dreieinhal­b Stunden langer, schwierige­r, aber ungemein spannender Abend. Roland Koch und Andrea Clausen sind als Vorgesetzt­er bzw. Ehefrau stark, haben aber die weniger dankbaren Szenen.

 ??  ?? August Diehl und Nicholas Ofczarek: Ihr gemeinsame­s Täter-Opfer-Spiel gehört zum Besten, was derzeit im Theater zu sehen ist
August Diehl und Nicholas Ofczarek: Ihr gemeinsame­s Täter-Opfer-Spiel gehört zum Besten, was derzeit im Theater zu sehen ist

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