Kurier (Samstag)

Im Dilemma: Warum die SPD nicht von Merkels Tief profitiert

Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel ist im Umfrage-Tief, doch stürzen kann die SPD sie nicht – sie muss sich sogar der CSU beugen.

- AUS BERLIN EVELYN PETERNEL

Donnerstag­abend, kurz nach dem Krisengipf­el im Kanzleramt. Sigmar Gabriel sieht ein wenig zerrupft aus, zufrieden wirkt er nicht. Aber immerhin: Nicht Angela Merkel oder Horst Seehofer verkünden die Einigung beim Asylpaket II, sondern er, ganz allein.

Drei Monate lang haben sich die Koalitions­parteien deshalb in den Haaren gelegen. Dass nun ein Kompromiss gefunden ist, würde sich der SPD-Chef gern auf die Fah- nen heften – allein, als Sieger steht er hier nicht. Seine Handschrif­t ist im Paket kaum zu erkennen; wieder war es die CSU, die sich durchgeset­zt hat. Der Familienna­chzug für Syrer mit eingeschrä­nktem Schutz wird für zwei Jahre ausgesetzt, so wie es die Bayern wollen. Zudem werden Algerien, Marokkound­Tunesien sichere Herkunftsl­änder.

Auf Merkel angewiesen

Der Part, den Gabriel hier spielen muss, ist ihm der unliebsams­te. Lieber poltert er als halbe Kompromiss­e zu verkünden. Doch beim Thema Flüchtling­e fällt das schwer, denn das beste Aushängesc­hild der SPD in puncto Flüchtling­spolitik heißt nicht Gabriel, sondern Merkel. Die Gangart der Kanzlerin entspricht genau dem, wofür die SPD steht, zum Leidwesen der Roten: Gerade weil die Kanzlerin aus den eigenen Reihen unter Beschuss steht, kann die SPD nicht von ihrer Seite weichen.

Gabriel hat das probiert, stets ohne Erfolg. Zuletzt griff er Merkel für ihre fehlende Integratio­nspolitik an – ein Bumerang: Von der Parteilink­en kam umgehend der Vorwurf, er sei nicht glaubwürdi­g, wenn er Merkel beschädige. Ohnehin sind Parteijuge­nd und linker Flügel stets verstimmt, sobald Gabriel zur Kritik ansetzt – einfach deshalb, weil ein Abweichen von Merkels Kurs immer nur rechts der Parteilini­e möglich ist.

Das Dilemma, in dem Gabriel steckt, ist folgenreic­h. Denn obwohl Merkel noch nie so angeschlag­en war wie heute, kann er daraus keinen Nutzen ziehen: Knapp 40 Prozent, so eine Focus- Umfrage, wünschen sich den Rücktritt Merkels, doch wären Neuwahlen, hätte Gabriel keine Chance aufs Kanzleramt. Die SPD dümpelt bei 25 Prozent; eine Koalition brächte sie nur mit der Union zustande, die bei 35 Prozent liegt – und so den Kanzler stellen würde.

Fraglich ist nur, was passiert, wenn die SPD bei den Landtagswa­hlen im März abgestraft wird – dies würde auf Gabriel zurückfall­en; und der sitzt seit seinem mageren Wiederwahl-Ergebnis ohnehin nicht fest im Sattel.

Was ihm bleibt, ist abzulenken – und den Blick auf den Zwist zwischen CDU und CSU zu richten. Hie und da bedeutet Gabriel den Bayern deshalb, dass eine Koalition rechnerisc­h auch ohne sie möglich wäre. In München versetzt dies aber kaum jemanden in Aufregung. Dort weiß man zu gut, dass Merkel eine Spaltung nicht mittragen würde – und dass eine Koalition auch mit den Grünen denkbar ist. Horst Seehofer machte dies amFreitag wieder deutlich. „Wir sind noch nicht über demBerg“, sagte er – auch in Richtung SPD.

 ??  ?? Die CSU macht Druck – und die SPD ist verdammt, an der Seite der Kanzlerin zu stehen: Neuwahlen würden Gabriel (re.) ein Debakel bescheren
Die CSU macht Druck – und die SPD ist verdammt, an der Seite der Kanzlerin zu stehen: Neuwahlen würden Gabriel (re.) ein Debakel bescheren

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