Nicht Kinder beenden Karrieren,
Sarah Fischer liebt ihren Job, bekommt mit 39 Jahren ihr erstes Baby. Plötzlich kann sie nicht mehr so, wie sie will. In „Die Mutterglück-Lüge“übt sie Kritik an der Gesellschaft, bereut das Muttersein.
KURIER: Sie schreiben, Sie bereuen das Muttersein. Warum? Sarah Fischer: Das stimmt. Ich habe geschrieben, ich bereue meine Mutterschaft. Als ich schwanger war, habe ich mir vorgenommen, dass ich meine Tochter so erziehen werde, wie ich denke. Ich dachte, ich werde so weiterarbeiten können wie bisher und sie wird mitlaufen. Mir war damals nicht bewusst, dass sich die Gesellschaft erlaubt, Regeln aufzustellen, wie sich eine Mutter zu benehmen hat. Welche Regeln meinen Sie?
Als Mutter soll man verzichten lernen. Eine Mutter darf keine Ansprüche stellen, muss sich und ihre Bedürfnisse immer hinter dem Kind anstellen. Man gilt sofort als Rabenmutter, wenn man sagt, man ist als Mutter nicht immer glücklich. Auch ich dachte, ich muss diesem Mutterbild entsprechen. Für die Frau ändert sich mit Kind fast alles. Aber nicht unbedingt zu ihrem Vorteil. Wir Frauen müssen sagen dürfen, was uns stört. Wir haben ja auch noch ein anderes Leben außer das als Mutter. Wir geben unser Hirn ja nicht bei der Geburt ab. Sie haben noch wenige Wochen vor der Geburt Vorträge gehalten und sich – so der Eindruck – keine Sekunde länger als nötig mit dem Muttersein und Arbeit beschäftigt. Wie lange ging der Vorsatz gut, dass sich nichts ändern wird?
Ich habe das Muttersein auf mich zukommen lassen. Aber mir wurde oft prophezeit, wenn du ein Kind hast, läuft nichts mehr glatt. Ich verstand das nicht, bin dann aber hart in der Realität angekommen. Wieso?
Bist du schwanger, hat die Gesellschaft sofort das Gefühl, sich einmischen zu müssen. Dir greifen wildfremde Leute einfach so auf den Bauch, fragen, ob es ein Bub oder ein Mädchen wird, ob du stillen wirst, wie lange du in Karenz gehst. Die Mut- terschaft wird zum Allgemeingut. Und egal, was du sagst, es ist falsch. Will man Vollzeit arbeiten gehen, gilt man als Rabenmutter, will man lange in Karenz gehen, liegt man irgendjemandem auf der Tasche. Welches Kinderbetreuungsmodell befürworten Sie?
Ich finde, jeder sollte sein Modell leben dürfen, so wie er will. Ich wollte einfach meinen Beruf, der mir sehr großen Spaß macht, weiter ausführen wie bisher. Ich war fast 40 und wollte mich auch nicht mehr selbstverwirklichen. Aber: Warum soll eine Frau total glücklich sein, wenn sie 24 Stunden mit einem Kleinkind zusammen ist, das noch nicht sprechen kann? Und warum darf sie nicht sagen, dass ihr da Ansprache fehlt? Mutterglück allein ist kein Glücksgarant. Und wer als Mutter nicht überglücklich ist, ist nicht automatisch eine Egoistin. Ich prangere das Mutterbild an und sage das laut auf die Gefahr hin, dann zu hören, ich sei undankbar. Sie sind Reisejournalistin und betreuen Fernsehteams im Ausland, haben sich einen Ruf als MongoleiExpertin aufgebaut und halten viele Vorträge. Wann sind Sie wieder in den Job eingestiegen?
Ich bin sofort wieder eingestiegen – mein Mann hat mir den Rücken freigehalten. Er ist zu vielen Vorträgen mitgekommen und hat auf unsere Tochter aufgepasst. Natürlich hat auch sie mir oft Grenzen aufgezeigt. Ich habe meinen Job mittlerweile um 40 Prozent heruntergestrichen. Aber ich bin selbstständig und arbeite jetzt eigentlich normal Vollzeit. Sie schreiben, dass Ihnen Ihre finanzielle Unabhängigkeit wichtig war. Auch wenn Ihr Mann mehr verdiente, haben Sie sich die Kosten 50:50 geteilt.
Freundinnen haben mich deswegen oft ge- fragt, ob ich noch ganz dicht bin – sie konnten das nicht verstehen. Ich hatte dann 2014 ein Burn-out und durfte drei Monate lang nicht arbeiten. Ich habe in dieser Zeit natürlich auch kein Geld verdient und musste Schulden bei meinem Mann machen. Mittlerweile teilen wir die Kosten nicht mehr ganz 50:50. Manchmal beneide ich die Mütter, die in ihrer Rolle zu 100 Prozent aufgehen, die kein Problem mit dieser finanziellen Abhängigkeit haben. Ich habe ständig das Gefühl, ich muss mich vierteilen. Sie schreiben, die grundsätzlichen Voraussetzun- gen fehlen, dass Kinder gut möglich sind. Welche sind das?
Dass nach wie vor der Mann den Löwenanteil verdient, dass nicht genug Krippen und Kindergartenplätze vorhanden sind, dass sie zu kurze Öffnungszeiten haben, dass die letzte Besprechung zu spät angesetzt wird – es gibt so viele Punkte, wo es Eltern schwer gemacht wird. Dazu gibt es viel Literatur. Stillen gilt als gut fürs Baby. Doch das Stillen passt nicht zum modernen Arbeitsalltag. Was ist der Ausweg?
Etwa Kinderbetreuungseinrichtungen im Unternehmen? Ich habe als Selbstständige überall gestillt, bei Vorträgen, bei Signierstunden – das Publikum fand das eigentlich immer lustig. Aber es gab sicher auch genug kritische Stimmen.