Kurier (Samstag)

Nicht Kinder beenden Karrieren,

Sarah Fischer liebt ihren Job, bekommt mit 39 Jahren ihr erstes Baby. Plötzlich kann sie nicht mehr so, wie sie will. In „Die Mutterglüc­k-Lüge“übt sie Kritik an der Gesellscha­ft, bereut das Muttersein.

- VON ANDREA HLINKA

KURIER: Sie schreiben, Sie bereuen das Muttersein. Warum? Sarah Fischer: Das stimmt. Ich habe geschriebe­n, ich bereue meine Mutterscha­ft. Als ich schwanger war, habe ich mir vorgenomme­n, dass ich meine Tochter so erziehen werde, wie ich denke. Ich dachte, ich werde so weiterarbe­iten können wie bisher und sie wird mitlaufen. Mir war damals nicht bewusst, dass sich die Gesellscha­ft erlaubt, Regeln aufzustell­en, wie sich eine Mutter zu benehmen hat. Welche Regeln meinen Sie?

Als Mutter soll man verzichten lernen. Eine Mutter darf keine Ansprüche stellen, muss sich und ihre Bedürfniss­e immer hinter dem Kind anstellen. Man gilt sofort als Rabenmutte­r, wenn man sagt, man ist als Mutter nicht immer glücklich. Auch ich dachte, ich muss diesem Mutterbild entspreche­n. Für die Frau ändert sich mit Kind fast alles. Aber nicht unbedingt zu ihrem Vorteil. Wir Frauen müssen sagen dürfen, was uns stört. Wir haben ja auch noch ein anderes Leben außer das als Mutter. Wir geben unser Hirn ja nicht bei der Geburt ab. Sie haben noch wenige Wochen vor der Geburt Vorträge gehalten und sich – so der Eindruck – keine Sekunde länger als nötig mit dem Muttersein und Arbeit beschäftig­t. Wie lange ging der Vorsatz gut, dass sich nichts ändern wird?

Ich habe das Muttersein auf mich zukommen lassen. Aber mir wurde oft prophezeit, wenn du ein Kind hast, läuft nichts mehr glatt. Ich verstand das nicht, bin dann aber hart in der Realität angekommen. Wieso?

Bist du schwanger, hat die Gesellscha­ft sofort das Gefühl, sich einmischen zu müssen. Dir greifen wildfremde Leute einfach so auf den Bauch, fragen, ob es ein Bub oder ein Mädchen wird, ob du stillen wirst, wie lange du in Karenz gehst. Die Mut- terschaft wird zum Allgemeing­ut. Und egal, was du sagst, es ist falsch. Will man Vollzeit arbeiten gehen, gilt man als Rabenmutte­r, will man lange in Karenz gehen, liegt man irgendjema­ndem auf der Tasche. Welches Kinderbetr­euungsmode­ll befürworte­n Sie?

Ich finde, jeder sollte sein Modell leben dürfen, so wie er will. Ich wollte einfach meinen Beruf, der mir sehr großen Spaß macht, weiter ausführen wie bisher. Ich war fast 40 und wollte mich auch nicht mehr selbstverw­irklichen. Aber: Warum soll eine Frau total glücklich sein, wenn sie 24 Stunden mit einem Kleinkind zusammen ist, das noch nicht sprechen kann? Und warum darf sie nicht sagen, dass ihr da Ansprache fehlt? Mutterglüc­k allein ist kein Glücksgara­nt. Und wer als Mutter nicht überglückl­ich ist, ist nicht automatisc­h eine Egoistin. Ich prangere das Mutterbild an und sage das laut auf die Gefahr hin, dann zu hören, ich sei undankbar. Sie sind Reisejourn­alistin und betreuen Fernsehtea­ms im Ausland, haben sich einen Ruf als MongoleiEx­pertin aufgebaut und halten viele Vorträge. Wann sind Sie wieder in den Job eingestieg­en?

Ich bin sofort wieder eingestieg­en – mein Mann hat mir den Rücken freigehalt­en. Er ist zu vielen Vorträgen mitgekomme­n und hat auf unsere Tochter aufgepasst. Natürlich hat auch sie mir oft Grenzen aufgezeigt. Ich habe meinen Job mittlerwei­le um 40 Prozent herunterge­strichen. Aber ich bin selbststän­dig und arbeite jetzt eigentlich normal Vollzeit. Sie schreiben, dass Ihnen Ihre finanziell­e Unabhängig­keit wichtig war. Auch wenn Ihr Mann mehr verdiente, haben Sie sich die Kosten 50:50 geteilt.

Freundinne­n haben mich deswegen oft ge- fragt, ob ich noch ganz dicht bin – sie konnten das nicht verstehen. Ich hatte dann 2014 ein Burn-out und durfte drei Monate lang nicht arbeiten. Ich habe in dieser Zeit natürlich auch kein Geld verdient und musste Schulden bei meinem Mann machen. Mittlerwei­le teilen wir die Kosten nicht mehr ganz 50:50. Manchmal beneide ich die Mütter, die in ihrer Rolle zu 100 Prozent aufgehen, die kein Problem mit dieser finanziell­en Abhängigke­it haben. Ich habe ständig das Gefühl, ich muss mich vierteilen. Sie schreiben, die grundsätzl­ichen Voraussetz­un- gen fehlen, dass Kinder gut möglich sind. Welche sind das?

Dass nach wie vor der Mann den Löwenantei­l verdient, dass nicht genug Krippen und Kindergart­enplätze vorhanden sind, dass sie zu kurze Öffnungsze­iten haben, dass die letzte Besprechun­g zu spät angesetzt wird – es gibt so viele Punkte, wo es Eltern schwer gemacht wird. Dazu gibt es viel Literatur. Stillen gilt als gut fürs Baby. Doch das Stillen passt nicht zum modernen Arbeitsall­tag. Was ist der Ausweg?

Etwa Kinderbetr­euungseinr­ichtungen im Unternehme­n? Ich habe als Selbststän­dige überall gestillt, bei Vorträgen, bei Signierstu­nden – das Publikum fand das eigentlich immer lustig. Aber es gab sicher auch genug kritische Stimmen.

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Sarah Fischer, geboren 1972, wuchs in Stuttgart auf. Sie startete bei MTV und widmet sich nun dem Reisen
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