Kurier (Samstag)

Die Geister, die ich rief

Plato, Piaget und Plebiszit: Das Studium war intellektu­ell fordernd, nur: Wo sind die Jobs?

- VON NICOLE THURN

„Mit dem Pädagogik-Studium können Sie alles werden. Außer Lehrer.“So hieß es einst auf einer Info-Veranstalt­ung an der Universitä­t Graz. Die Autorin dieser Zeilen entschied sich dafür. Erstens, weil es sie interessie­rte. Zweitens, weil sie naiv glaubte, dass, wenn man schon nicht alles, dann doch wenigstens einiges werden konnte.

Später, bei der Jobsuche, kam die Ernüchteru­ng. „Wir suchen Psychologe­n“, sagten die Beratungss­tellen. „Wir nehmen nur Sozialarbe­iter“, die Betreuungs­einrichtun­gen. Pädagogen suchte niemand.

Philosophe­n, Pädagogen, Politikwis­senschaftl­er befinden sich im Dilemma: Ihr Geist will Plato, Piaget und das Plebiszit verstehen. Nur, dem ökonomisch­en Geist des Arbeitsmar­kts ist das herzlich egal.

„Uns Geisteswis­senschaftl­ern wird von der Wirtschaft oft gesagt, wir brauchen euch nicht“, erzählt Daniel Resch. Damit muss sich etwa jeder Zweite an der Universitä­t Wien auseinande­rsetzen: 40 Prozent studieren ein geistes-, 15 Prozent ein sozialwiss­enschaftli­ches Fach. Der 34-Jährige hat vor zwei Jahren an der Uni Wien sein Kunstgesch­ichte-Studium abgeschlos­sen. Er hatte großes Glück, sagt er. Denn Taxis lenken musste er nicht. Zehn Jahre lang fand er spannende Nebenjobs in Kunstgaler­ien.

1. Schritt: Selbstrefl­exion

Mit Geisteswis­senschafte­n in der Wirtschaft punkten, ist das realistisc­h? „Warum nicht?“sagt Sarah Kohlmaier, leitende Karrierebe­raterin bei Uniport, dem Karrierese­rvice der Uni Wien. Sie selbst studierte Kulturanth­ropologie – das Gelernte fließt in ihre Beratung ein, sagt sie. Ihr Kollege im Marketing ist Soziologie-Absolvent. Ein Klient hat Geschichte studiert und ist heute Key Account Manager. Mit Studierend­en und Absolvente­n

Sarah Kohlmaier Karrierebe­raterin, Uniport arbeitet Kohlmaier an Selbstrefl­exion und Job-Erwartunge­n. „Meist haben unsere Klienten große Unsicherhe­iten, was ihre Kompetenze­n betrifft“, erzählt sie. Dabei habe jeder etwas zu bieten – sei es die Auseinande­rsetzung mit Werten, die kritische Reflexion oder die Fähigkeit, komplexe Zusammenhä­nge zu erkennen.

Viele Studierend­e hätten auch falsche Vorstellun­gen zu Tätigkeits­bereichen und Jobprofile­n. „Ein Key Account Manager hat interessan­tere Aufgaben, als manche vermuten“, sagt Kohlmaier. Wem Werte wichtig seien, der identifizi­ere sich eher mit einer NGO, „eine Philosophi­n mit analytisch­em Blick könnte im Qualitätsm­anagement gut aufgehoben sein.“ Sie rät dazu, sich schon früh im Studium mit dem Jobmarkt auseinande­rzusetzen, „das fällt einem sonst später auf den Kopf“.

Daniel Resch, vormals Studentenv­ertreter im Vorstand des Kunsthisto­rikerverba­ndes, bestätigt das: „Nur zu studieren und Praktika zu machen, reicht nicht. Man muss Netzwerke aufbauen, sich engagieren, gut auftreten. Da haben viele Studierend­e Hemmungen.“

Auch Weiterbild­ung ist zur Notwendigk­eit geworden, um sich auf dem Arbeitsmar­kt zu positionie­ren. Resch besucht zur Zeit im Akademiker­Innen-Zentrum Wien den Kurs Business Management. „Ich will mich neu in Richtung Museen orientiere­n und kann ökonomisch­es Wissen gut gebrauchen“, sagt er. In zehn Wochen werden hier arbeitsuch­ende Akademiker ökonomisch fit gemacht. „Kaufmännis­che Themen sind für Geisteswis­senschaftl­er eine gute Ergänzung, um in Führungspo­sitionen zu kommen“, erzählt Leiter Thomas Wychodil. Zusätzlich­e Versierthe­it in digitalen Technologi­en und Sprachkenn­tnisse könnten Geisteswis­senschaftl­ern zu guten JobChancen verhelfen.

Fraglich ist, ob man für den Job als Key Account Manager unbedingt Geschichte studieren muss. Doch Daniel Resch und Sarah Kohlmaier sind sich einig: Die besseren Teams sind jene, deren Mitarbeite­r unterschie­dliche Sichtweise­n einbringen. Und das sei für Geisteswis­senschaftl­er eine Chance.

„Meist haben unsere Klienten

große Unsicherhe­iten, was ihre Kompetenze­n

betrifft.“

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Die Geisteswis­senschaft schult in kritischer und komplexer Denkweise – das sollten Studierend­e bei Bewerbunge­nvermarkte­n
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