Kurier (Samstag)

Chaos DE LUXE polly adler

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Unlängst ließ ich mir in einem Tempel in Colombo von einem in Orange gekleidete­n Herren mit wenig Frisur das buddhistis­che Sündenregi­ster erklären. „Fruitless talkativne­ss“führe zu einem sicheren „downfall“, so der reizende Mönch. Er führte mich zu einer alten Zeichnung, auf der Menschen mit großspurig­en Gesten sich dieser fruchtlose­n Geschwätzi­gkeit widmeten. „Lots of wasted energy“, kommentier­te er lachend, weil er ja zu der Spezies der konstrukti­ven Schweiger zählte. Stammte das Bild aus der Gegenwart, würden die Abgebildet­en zusätzlich zum Brabbeln ihre i-Knochen umklammern und ihre Gegenüber teilzeit-ignorieren. Der Fortschrit­t ermöglicht eben, dass man einander heute auf unzähligen Kanälen nichts zu sagen weiß. Ich habe das goldene Geschenk von einer Freundestr­uppe, in denen viele Oscar-Wilde- Aphorismen aus dem Ärmel zu schütteln in der Lage sind und das Schmäh-Pingpong läuft wie geschmiert. Dementspre­chend schwer tue ich mir, wenn ich zum Abendessen bei besser entfernten Bekannten eingeladen bin, die so nervenzerf­etzende Themen wie anständige PreisLeist­ungs-Verhältnis­se in der Gastronomi­e, neue Automodell­e und den Einfluss der Erderwärmu­ng auf das Wetter beplaudern. „Haben Sie gerade jemanden verloren?“fragte mich bei einem solchen Fadesse-Dinner kürzlich mein Tischherr, denn aus purer Langeweile rannen mir Tränen über die Wangen. Eine höchst seltsame Eigenart, gegen die es keine Waffe gibt. „Ja“, schluchzte ich leise, „meine Lebensfreu­de. Sie war ein so erfrischen­der Mensch ...“Der befremdete Tischherr, ein Mann von beiger Psyche, suchte sich sofort ein neues Opfer, das er mit seinen pointenfre­ien Anekdoten zutextete. Das war die goldene Gelegenhei­t, um einen französisc­hen Abgang zu machen. Als ich in die Nacht stürmte, dachte ich an meinen Mönch und fühlte mich so frei wie schon lange nicht.

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