Befreiendes Ritual
Ein Relikt aus grauer Vorzeit als Kehraus von Wintergeistern, Ruß und Schmutz
Die Frühjahrssonne bringt es gnadenlos an den Tag: den schmierigen Dreck an den Fenstern, den grauen Staubflaum auf den Möbeln, den pickig-schwarzen Schmutzfilm auf den Fußböden – Zeit für den Frühjahrsputz. Der ist dank genialer Hightech-Geräte heute zwar nicht mehr so aufwendig wie zu Großmutters Zeiten, dennoch ist das Großreinemachen nach wie vor ein jährliches Ritual – mit durchaus historischen Wurzeln. Tatsächlich waren die Römer auch auf die- sem Gebiet ziemliche Freaks. Sie putzten im großen Stil – vor allem im Februar. Das war der Reinigungs- und Bußemonat. Das Wort Februar lässt sich vom lateinischen Verb „februare“herleiten und bedeutet „reinigen“. Februar bedeutete also Frühjahrsputz. Der hatte nicht nur hygienische Gründe, sondern durchaus auch mystischsymbolischen Charakter, denn mit den Säuberungsritualen sollten auch die Wintergeister aus dem Haus gejagt werden. Das spielte auch unseren nördli- cheren Breiten eine gewisse Rolle. Ein wesentlich triftigerer Grund für den Frühjahrsputz war aber der gewaltige Ruß, der sich den Winter über auf Wände, Böden und Möbel gelegt hat. Dazumal wurde das Essen ja vielfach noch auf offen befeuerten Öfen und Herdstellen gekocht. Dementsprechend kohlrabenschwarz war alles im Haus und der Frühjahrsputz durchaus vonnöten – in Bürgerhäusern genauso wie in Bauernhaushalten.
Das komplette Programm
Dazu wurden die Möbel ins Freie getragen, anschließend Wände und Dielen mit Reisigbesen abgekehrt. Im Zuge dessen wurden gleich auch die Wände gekalkt oder mit Leimfarbe gestrichen. Ebenso wurden Decken, Holzbalken oder -dielen aufgefrischt. Bauern verwendeten dazu einen klebrigen Anstrich aus Ochsenblut, Sumpfkalk und Leinöl. Dann kamen die Böden dran. Die wurden mit einem Gemisch aus Holzasche, Fett und Scheuersand akribisch gescheuert.
Nicht nur die Zimmer an sich, auch die Fenster und Möbel wurden geputzt, ebenfalls sämtliches Kochgeschirr wie Pfannen, Töpfe, Teller, Essbesteck und jegliche gusseiserne Utensilien wurden gewaschen. Für Geschirr aus weißem Emaille verwendete man mit Essig und Schlämmkreide versetztes Wasser. Auch Vorhänge, Teppiche, Matratzen wurden ins Freie geschleppt und mit dem Teppichklopfer, hierzulande auch als Pracker bekannt, kraftvoll bearbeitet. Heute macht das kaum noch jemand. Die Klopfstangen in den Höfen sind verwaist, im Frühjahr ist schon lange kein rhythmisches Gepolter mehr zu hören. Wozu auch? Heute holt man mikroskopisch-winzigen Schmutz mit leistungsstarken Motoren aus sämtlichen Ritzen und Geweben. Die Teppichklopfer sind längst zu reinen Dekorationsstücken verkommen – und müssen nun selbst abgestaubt werden.