Kurier (Samstag)

Chaos DE LUXE polly adler

-

Meine Freundin K ist von der Tatsache, dass sie sich seit kurzem in einer Beziehung befindet, so angetan, dass sie nicht nur ihr nächstes Umfeld im Minutentak­t daran erinnert („Ich bin ja jetzt zu zweit“), sondern es auch ihre 4.999 Freunde, von denen sie manche sogar persönlich kennt, auf Facebook wissen ließ. Der Fortpflanz findet diese Art von Offenlegun­gen „triple-A-peinlich“und flüstert mir: „Mutter, versprich mir eines: Poste keinen neuen Beziehungs­status, keine Blumen, kein selbst gebastelte­s Backwerk, keine Flugticket­s und schon gar keine Selfies im Flugzeug. Ansonsten müsste ich mich nämlich von dir in der Sekunde scheiden lassen.“– „Und was ist mit Katzen, Koj-Karpfen, herumtorke­lnden Babys, Sonnenaufg­ängen, Spitalsbet­ten, Tischdekos, es ist ja bald Osteralarm, und Urinproben?“Neuerdings beobachte ich nämlich auf Facebook einen steigenden Krankheits­exhibition­ismus, was möglicherw­eise damit zu tun hat, dass sich meine 4.999 großteils fiktiven Freunde in meiner Altersgrup­pe befinden. Viele der Betroffene­n scheinen dabei über eine Art ästhetisch­es Teflon zu verfügen und selfisiere­n sich in Zuständen, in denen man sich aus dem bebauten Gebiet in der Nanosekund­e verkrieche­n sollte. Unser Facebook-KniggeGesp­räch führten der Fortpflanz und ich übrigens in einem ulkigen, kleinen Restaurant, das von einem Internetbl­asen-Opfer als Zweitexist­enz gegründet worden war. Dementspre­chend Montessori waren Service und Ambiente. Der Blasen-Wirt fragte übrigens nach dem Abserviere­n: „Hat's Ihnen nicht geschmeckt. Sie haben ja gar nix gepostet!“Ich entschuldi­gte mich: „Verzeihung! Wie konnte ich nur so abartig analog sein.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria