Gipfel erkämpft Reform-Deal, um Großbritannien in der EU zu halten
Kompromiss in Brüssel. Obergrenze.
Feilschende Anwaltsteams, EU-Spitzenpolitiker in wechselnden Vier-Augen-Gesprächen: Die Verhandlungen über Großbritanniens Pläne für eine EU-Reform wurden am Freitagabend zur Nervenprobe – mit glücklichem Ausgang. Ein Kompromissvorschlag, den EU-Kommissionschef Juncker und Ratspräsident Tusk beim Abendessen vorlegten, brachte nach Stunden des hektischen Feilschens die Einigung. Der zentrale Streitpunkt, der zuletzt doch gelöst werden konnte, war die Kürzung von Sozialleistungen für EU-Ausländer. Sieben Jahre lang, so erste Stellungnahmen am Rande des Gipfels, sollen sie gelten. So lange also sollen Arbeitsmigranten aus anderen EU-Staaten nicht im vollen Ausmaß Sozialhilfe in Großbritannien erhalten. Zuvor wollte der Tory-Chef eine Ausnahme gleich für 13 Jahre. Unmöglich, hieß es vonseiten ost- und mitteleuropäischer Länder, allen voran Polen. In bilateralen Gesprächen versuchte Cameron eine Annäherung.
Referendum rasch
Die Atmosphäre war extrem angespannt, auf Drohungen folgten Gegendrohungen: Ein Breakfast, ein Lunch entfielen, beim Dinner Freitagabend sollte es eine Lösung geben. Aber keiner wusste, was ständig neue Ankündi- gungen bedeuteten. Die Delegationen wurden aufgefordert, eine weitere Hotelnacht bis Samstag zu buchen. Und Cameron stellte zwischendurch fest: „Ich brauche drei Hemden für die Verhandlungen in Brüssel.“
Der Premier, so hieß es aus britischen Verhandlerkreisen, war direkt nach Ende der Verhandlungen nach London zurückgekehrt. Noch Freitagnacht, oder spätestens Samstag früh sollte eine Sitzung des Kabinetts einbe- rufen werden. Auch der Termin für das Referendum über Großbritanniens EU-Mitgliedschaft wurde erwartet.
Wie sehr sich Cameron mit der Volksabstimmung, für die er bis Ende 2017 Zeit hat, beeilt, hängt auch vom Ergebnis der Verhandlungen ab. Je besser der Kompromiss, desto früher will der Premier die Entscheidung suchen. Die EU-Gegner können derzeit auf eine klare Mehrheit in den Umfragen für das „Nein“zur EU bauen. Bundeskanzler Werner Faymann bewertet das BritenAbkommen „positiv“, er verhehlt nicht, dass 27 Mitgliedsländer Großbritannien entgegengekommen sind. „Das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Beweis für Konstruktivität.“Es gebe in der Europäischen Union „keinen Knopf, auf den man drückt, um 27 zu überzeugen“.
Der Kanzler schließt nicht aus, dass es in der Folge des Briten-Deals noch viele Diskussionen über Durchführungsbestimmungen, auch bei den Sozialleistungen, geben werde. „Das Abkommen ist kein Staatsvertrag, sondern nur eine Willenserklärung.“
Ausdrücklich betonte Faymann gegenüber dem KURIER, dass er der Forderung des griechischen Premiers Alexis Tsipras nicht nachgekommen sei, die Kontingente für Flüchtlinge auszusetzen. „Ich bleibe bei dieser Regelung, die wir in Österreich beschlossen haben. Das ist vorbildhaft in Europa. Ich bin am Freitag von der Mehrheit unterstützt worden.“
Der Bundeskanzler betonte, dass er nach wie vor für eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise eintrete. Eine Lösung werde aber in Schritten erfolgen, deswegen brauche es derzeit eine eigene österreichische Entscheidung. „Mit unserem Beschluss der Obergrenze wollen wir nicht zulassen, dass Asylwerber quer durch Europa wandern und sich aussuchen, in welchem Land sie um Asyl ansuchen. Es gibt das Recht auf Asyl, aber nicht das Recht, nur in einem bestimmten Land den Antrag zu stellen.“
Weitere Schritte zu einer Lösung der Flüchtlingsfrage dürfte der außerordentliche Europäische Rat zum EU-Türkei-Aktionsplan bringen. Faymann begrüßt diesen Gipfel, der wahrscheinlich am 7. März in Brüssel stattfinden wird, weil er der Meinung ist, dass es vieler Treffen bedarf. „Wir müssen bei der Flüchtlingsfrage dasselbe Engagement an den Tag legen wie zum Beispiel bei der Lösung der Finanz- und Schuldenkrise.“