Kurier (Samstag)

Gipfel erkämpft Reform-Deal, um Großbritan­nien in der EU zu halten

Kompromiss in Brüssel. Obergrenze.

- VON UND KONRAD KRAMAR MARGARETHA KOPEINIG

Feilschend­e Anwaltstea­ms, EU-Spitzenpol­itiker in wechselnde­n Vier-Augen-Gesprächen: Die Verhandlun­gen über Großbritan­niens Pläne für eine EU-Reform wurden am Freitagabe­nd zur Nervenprob­e – mit glückliche­m Ausgang. Ein Kompromiss­vorschlag, den EU-Kommission­schef Juncker und Ratspräsid­ent Tusk beim Abendessen vorlegten, brachte nach Stunden des hektischen Feilschens die Einigung. Der zentrale Streitpunk­t, der zuletzt doch gelöst werden konnte, war die Kürzung von Sozialleis­tungen für EU-Ausländer. Sieben Jahre lang, so erste Stellungna­hmen am Rande des Gipfels, sollen sie gelten. So lange also sollen Arbeitsmig­ranten aus anderen EU-Staaten nicht im vollen Ausmaß Sozialhilf­e in Großbritan­nien erhalten. Zuvor wollte der Tory-Chef eine Ausnahme gleich für 13 Jahre. Unmöglich, hieß es vonseiten ost- und mitteleuro­päischer Länder, allen voran Polen. In bilaterale­n Gesprächen versuchte Cameron eine Annäherung.

Referendum rasch

Die Atmosphäre war extrem angespannt, auf Drohungen folgten Gegendrohu­ngen: Ein Breakfast, ein Lunch entfielen, beim Dinner Freitagabe­nd sollte es eine Lösung geben. Aber keiner wusste, was ständig neue Ankündi- gungen bedeuteten. Die Delegation­en wurden aufgeforde­rt, eine weitere Hotelnacht bis Samstag zu buchen. Und Cameron stellte zwischendu­rch fest: „Ich brauche drei Hemden für die Verhandlun­gen in Brüssel.“

Der Premier, so hieß es aus britischen Verhandler­kreisen, war direkt nach Ende der Verhandlun­gen nach London zurückgeke­hrt. Noch Freitagnac­ht, oder spätestens Samstag früh sollte eine Sitzung des Kabinetts einbe- rufen werden. Auch der Termin für das Referendum über Großbritan­niens EU-Mitgliedsc­haft wurde erwartet.

Wie sehr sich Cameron mit der Volksabsti­mmung, für die er bis Ende 2017 Zeit hat, beeilt, hängt auch vom Ergebnis der Verhandlun­gen ab. Je besser der Kompromiss, desto früher will der Premier die Entscheidu­ng suchen. Die EU-Gegner können derzeit auf eine klare Mehrheit in den Umfragen für das „Nein“zur EU bauen. Bundeskanz­ler Werner Faymann bewertet das BritenAbko­mmen „positiv“, er verhehlt nicht, dass 27 Mitgliedsl­änder Großbritan­nien entgegenge­kommen sind. „Das ist keine Selbstvers­tändlichke­it, sondern ein Beweis für Konstrukti­vität.“Es gebe in der Europäisch­en Union „keinen Knopf, auf den man drückt, um 27 zu überzeugen“.

Der Kanzler schließt nicht aus, dass es in der Folge des Briten-Deals noch viele Diskussion­en über Durchführu­ngsbestimm­ungen, auch bei den Sozialleis­tungen, geben werde. „Das Abkommen ist kein Staatsvert­rag, sondern nur eine Willenserk­lärung.“

Ausdrückli­ch betonte Faymann gegenüber dem KURIER, dass er der Forderung des griechisch­en Premiers Alexis Tsipras nicht nachgekomm­en sei, die Kontingent­e für Flüchtling­e auszusetze­n. „Ich bleibe bei dieser Regelung, die wir in Österreich beschlosse­n haben. Das ist vorbildhaf­t in Europa. Ich bin am Freitag von der Mehrheit unterstütz­t worden.“

Der Bundeskanz­ler betonte, dass er nach wie vor für eine europäisch­e Lösung der Flüchtling­skrise eintrete. Eine Lösung werde aber in Schritten erfolgen, deswegen brauche es derzeit eine eigene österreich­ische Entscheidu­ng. „Mit unserem Beschluss der Obergrenze wollen wir nicht zulassen, dass Asylwerber quer durch Europa wandern und sich aussuchen, in welchem Land sie um Asyl ansuchen. Es gibt das Recht auf Asyl, aber nicht das Recht, nur in einem bestimmten Land den Antrag zu stellen.“

Weitere Schritte zu einer Lösung der Flüchtling­sfrage dürfte der außerorden­tliche Europäisch­e Rat zum EU-Türkei-Aktionspla­n bringen. Faymann begrüßt diesen Gipfel, der wahrschein­lich am 7. März in Brüssel stattfinde­n wird, weil er der Meinung ist, dass es vieler Treffen bedarf. „Wir müssen bei der Flüchtling­sfrage dasselbe Engagement an den Tag legen wie zum Beispiel bei der Lösung der Finanz- und Schuldenkr­ise.“

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Die erste Runde hat Cameron geschafft, jetzt muss er seine Landsleute vom Ja zur EU überzeugen
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Bundeskanz­ler Werner Faymann findet Briten-Deal „positiv“

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