Kretschmann: Ein Pragmatiker mit grünem Herz und schwarzem Programm
Baden-Württemberg. Lange Zeit hat es zwischen den beiden Amtsinhabern in Stuttgart und Berlin auffallend viele Parallelen gegeben. Die Umfragewerte etwa: Winfried Kretschmann, Deutschlands erste grüner Ministerpräsident, war in Baden-Württemberg stets ebenso beliebt wie Angela Merkel bundesweit.
Jetzt, in Zeiten der Flüchtlingskrise, hat er die Kanzlerin weit abgehängt. Kurz bevor der 67-Jährige sich seiner ersten Wiederwahl stellt (13. März), kommt er auf enorme Zustimmungsraten: 71 Prozent im „Ländle“stehen hinter ihm, 29 Prozent würden für seine Partei votieren. Damit machen die Grünen erstmals der CDU den Rang 1 streitig – sie fiel von 39 auf 31 Prozent.
Die Gründe dafür findet man auch in den Parallelen zwischen Kretschmann und Merkel. Beide verbindet ihr Pragmatismus – das macht ihn auch bei CDU-Fans beliebt. Die Konservativen, die vor Kretschmann seit 1953 durchgehend regiert haben, verblassen zusehends neben ihm, denn er macht das, was auch Merkel gut kann: Er eignet sich die Ideen anderer an.
Ökolibertär & rigide
Wirtschaftspolitisch ist er ökolibertär, versucht etwa mit der Autoindustrie gemeinsame Wege zu gehen. In der Flüchtlingsfrage gibt er sich rigide, stellt sich schon mal auf die Seite seines Duz-Freundes Seehofer. Das kommt bei der Kollegenschaft in Berlin nicht gut an. „Politik macht keinen Spaß, sondern Sinn“, sagt Kretschmann dazu gern. Ein Seitenhieb auf jene, die 2013 das Angebot der CDU ablehnten, im Bund mitzuregieren.
In Berlin kommt man nicht umhin, dem 67-Jährigen Respekt zu zollen. Grün-Wähler konnte er mit der Gesamtschule und der Stärkung der Bürgerrechte halten; so holte er auch Stuttgart-21-Gegner ins Boot. Dass er dazu noch Mitglied im Schützenverein, Katholik und Fußballfan ist, macht ihn im konservativen „Ländle“jenseits aller Parteigrenzen wählbar.
CDU-Konkurrent Guido Wolf kann darauf nur mit Neid blicken. Überholt der Grüne ihn noch, könnten die beiden koalieren. Bleibt er auf Platz zwei, will Kretschmann sich zurückziehen. Dann würde sich bewahrheiten, was er vor einigen Jahren gesagt hat: Da nannte er sich selbstironisch Moses – „der die Seinen ins gelobte Land führt, aber es selbst nicht mehr erreicht.“