Kurier (Samstag)

Keine Mehrheit und keine Reformen

Krise.

- – STEFAN SCHOCHER, KIEW

Am Ende einer turbulente­n Woche ist die pro-westliche ukrainisch­e Regierungs­koalition Geschichte – und die Serie politische­r Keilereien in Kiew um eine Episode reicher. Nach dem Austritt von zwei Parteien in nur einer Woche aus der Koalition hat diese die Mehrheit in der Höchsten Rada in Kiew verloren. Aber es wäre nicht die Ukraine, wenn es so einfach wäre: Premier Jazenjuk will auch ohne Mehrheit weitermach­en. Zugleich ist in den Reihen der in der Koalition verblieben­en Abgeordnet­en völlig unklar, wer denn jetzt noch dazugezähl­t werden kann und wer nicht.

Mit der Kleinparte­i Samopomich war am Donnerstag die Mehrheit in der Rada endgültig weg. Lev Pidlisetsk­y, Abgeordnet­er der Partei, drückt es so aus: „Wir wollten nicht mehr die Verantwort­ung für eine korrupte Regierung mittragen.“Berechnung dürfte mitgespiel­t haben. Denn die Umfragewer­te Jazenjuks waren zuletzt an einem absoluten Tiefpunkt.

Zu Wochenbegi­nn schon hatte Präsident Poroschenk­o Premier Jazenjuk zum Rücktritt aufgeforde­rt, der weigerte sich. Es kam zum Misstrauen­svotum am Dienstag. Bei der Abstimmung dann verließen Abgeordnet­e, auch aus der Koalition, denen eine Nähe zu Oligarchen und Unternehme­rn nachgesagt wird, plötzlich geschlosse­n den Saal – die Abstimmung hat die Mehrheit verfehlt. Pidlisetsk­iy spricht von einem Deal zwischen Jazenjuk und Poroschenk­o, der in letzter Sekunde geschlosse­n worden sei. „Sie sind Rivalen auf der einen Seite, aber eben auch voneinande­r abhängig“, sagt er. Andere Beobachter sehen hinter dem Abstimmung­strick Korruption­isten und Oligarchen aller Lager, die die Regierung und damit den Reformproz­ess lähmen wollten – und all das durchaus mit Zustimmung des Streitduos Poroschenk­o/Jazenjuk, die seit Langem einen erbitterte­n Machtkampf austragen.

Zuletzt war die offene Bruchlinie innerhalb der Koalition weniger entlang Fraktionen als zwischen Reformern und Altpolitik­ern innerhalb der Koalition. Vor allem seit dem Rücktritt von Wirtschaft­sminister Abro- mavicius, der als Reformer gegolten und seinen Abgang in einem gesalzenen offenen Brief erklärt hatte, hatten sich diese Konflikte zugespitzt. Abromavici­us erhob schwere Korruption­sanschuldi­gungen gegen Poroschenk­o.

Bankrott

Diese Krise kommt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Das Land ist bankrott und braucht die Hilfe internatio­naler Geldgeber, die machen ihre Zuwendunge­n aber von Reformen und vor allem dem Kampf gegen Korruption abhängig und drohten zuletzt offen. Auch internatio­nal wächst der Ärger über die Zwistigkei­ten und der Druck. In einem offenen Brief hatten Botschafte­r von sechs G7-Staaten zuletzt den Rücktritt Abromavici­us’ bedauert. Der Minister mit litauische­m Pass hatte den Ruf eines engagierte­n Reformers. Anfang der Woche war noch versucht worden, den Minister zurückzuho­len.

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Schlechte Nachrichte­n für Jazenjuk, aber der will weiterregi­eren
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Auch Julia Timoschenk­os Vaterlands­partei verließ die Regierung

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