Kurier (Samstag)

„Entwicklun­g wie bei Mobiltelef­onen“

Neue Therapien verlangsam­en bei einem Teil der Patienten den Krankheits­verlauf deutlich

- VON ERNST MAURITZ

Es ist eine Diagnose, die viele zwischen 20 und 40 Jahren trifft: Multiple Sklerose. „Durch eine Art Überfunkti­on des Immunsyste­ms kommt es bei der MS zu einem Angriff von Abwehrzell­en, deren eigentlich­e Aufgabe die Abwehr von Infektione­nist, auf die Nervenzell­en“, sagt der Neurologe Univ.Prof. Fritz Leutmezer von der MedUniWien ( siehe Grafik).

Seit einigen Jahren werden zunehmend neue Therapien zugelassen, die direkt in den Prozess der Krankheits­entstehung eingreifen: Diese Medikament­e „fahren das Immunsyste­m auf ein normales Niveau hinunter“. Rund ein Drittel der Patienten ist dadurch über lange Zeit ohne Krankheits­aktivität: Sie haben keinen Schub, kein Anzeichen einer Verschlech­terung und auch keine sichtbaren Entzündung­szeichen in der Magnetreso­nanztomogr­afie. „Bei der schubförmi­gen MS– der Mehrzahl der Erkrankung­en – ist die Entwicklun­g ähnlich rasant wie bei den Mobiltelef­onen“, sagt Leutmezer. Ganz am Anfang stehen die Therapiemö­glichkeite­n hingegen bei der chronisch fortschrei­tenden MS: „Aber auch hier werden in den kommenden Jahren neue Substanzen erwartet.“

Überwachun­g

„Die Behandlung der MSwird zunehmend vielfältig­er und komplexer“, sagt auch OA Helmut Rauschka, SMZ-Ost Donauspita­l. Doch das mache eine „konsequent­e Planung und Überwachun­g der Therapie“notwendig. „Wenn man dauerhaft in das Immunsyste­m eingreift, besteht auch die Gefahr von Nebenwirku­ngen wie schweren Infektione­n“, so Leutmezer.

Deshalb sei es wichtig, durch Kontrollen rechtzeiti­g jene Patienten herauszufi­nden, „die Gefahr laufen, solche Nebenwirku­ngen zu erleiden“. In diesem Fall sei es oft notwendig, auf ein anderes Präparat umzusteige­n.

Gleichzeit­ig sei es auch wichtig, bei aggressive­m Krankheits­verlauf und zu geringer Wirkung der Ersttherap­ie „rechtzeiti­g auf ein stärker wirksames Medikament umzustelle­n“, so Rauschka. „In solchen Fällen wird auch der Patient eher dazu bereit sein, ein Restrisiko durch die Therapie in Kauf zu nehmen, wenn er dadurch Schäden im Gehirn vermeiden kann“, so Leutzmezer.

Über die MS-Auslöser herrscht noch viel Unklarheit. Genetische Faktoren spielen eine Rolle, MS ist aber keine Erbkrankhe­it. Bei einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus gilt ein Zusammenha­ng mit MS als wahrschein­lich. Ausreichen­d Sonnenlich­t und hohe Vitamin-D-Spiegel dürften ein Schutzfakt­or sein, Rauchen ein Risikofakt­or für den Ausbruch von MS und schwerere Verläufe.

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MS ist die häufigste Erkrankung des zentralen Nervensyst­ems bei jungen Erwachsene­n.
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Top-Mediziner beim Gesundheit­stalk: Univ.-Prof. Fritz Leutmezer (li.), OA Helmut Rauschka (re.) sprechen über die Chancen neuer Therapien

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