Kurier (Samstag)

„Nicht Pornografi­e, sondern Kunst“

Direktorin Ingried Brugger über die Balthus-Retrospekt­ive, die am Dienstag eröffnet wird

- VON THOMAS TRENKLER

KURIER: Das Kunstforum Wien zeigt ab Dienstagab­end den polnisch-französisc­hen Künstler Balthasar Kłossowski de Rola, genannt Balthus. Warum? Ingried Brugger: Ich habe mir Balthus immer schon gewünscht. Er ist einer der ganz Großen des 20. Jahrhunder­ts, ein Künstler jenseits der Moderne. Er hat einen anderen Weg gesucht und die Gegenständ­lichkeit nie infrage gestellt, er fasziniert als Arrangeur, Kompositeu­r undauchals Mensch. David Bowie und Bono haben ihn verehrt, Madonna war bei seinem Begräbnis. Und von ihm stammt das einzige Bild, das Pablo Picasso je erwarb. Aber Balthus, der sich als „König der Katzen“bezeichnet­e, war immer ein Außenseite­r. Die Ausstellun­g haben wir in Kooperatio­n mit der Scuderie del Quirinale in Rom realisiert. Es war ein wahnsinnig komplizier­tes Projekt, denn es gibt viele Leihgeber. Balthus werden pädophile Tendenzen nachgesagt.

Die Retrospekt­ive war in Rom zu sehen, es gab keinen Aufschrei. Wir stellen nicht Pornografi­e aus, sondern Kunst. Balthus bediente alle Genres, er malte Stillleben wie Porträts und Landschaft­en, er arbeitete auch als Bühnenbild­ner. Und er war ein großer erotischer Künstler – wie Egon Schiele und Gustav Klimt. Er thematisie­rte mehrfach den Übergang vom Kindsein zum Erwachsenw­erden mit den damit verbundene­n Ängsten und Sehnsüchte­n. Aber er stellte das nur selten explizit, in der Regel vielmehr geheimnisv­oll verschleie­rt dar. Wir sehen z. B. ein Mädchen, das eine Patience legt. Es spielt die letzte Karte nicht aus, sondern träumt sich weg. Dieses Mädchen ist vollständi­g bekleidet, das Bild hat aber trotzdem eine erotische Komponente. Das hat wohl mit der nach vorne gebeugten Körperhalt­ung zu tun ...

Kinder haben noch keine Ahnung, was diese Pose bedeutet. Sie bewegen sich frei. Balthus hat genau das im Bild eingefrore­n. Aber es stimmt: Es gibt eine Doppeldeut­igkeit. Balthus wurde mitunter aber schon explizit: Man sieht z. B. die noch unbehaarte Scham.

Er hat sich sehr kindliche Mädchen ausgesucht. Seine Modelle waren aber alle über 16 Jahre alt. Klimt zeichnete onanierend­e junge Frauen. Im Vergleich dazu sind die Bilder von Balthus harmlos: Er zeigt die Mädchen nie als Abbild einer Wirklichke­it oder bei sexuellen Handlungen. Zudem herrscht sehr oft Eiseskälte und Isolation: Die Figuren haben nichts miteinande­r zu tun. Selbst ein Tizian-Akt ist sinnlicher. Anfang Februar 2014 sagte das Folkwang-Museum in Essen nach Protesten eine BalthusAus­stellung ab. Geplant war, eine Serie mit Polaroids eines halb nackten Mädchens zu zeigen, die Balthus mit über 80 Jahren geschossen hatte.

Ja, Die Zeit hatte die Polaroids als „Dokumente einer pädophilen Gier“bezeichnet. Es gab einen unglaublic­hen Shitstorm. Dazu muss man wissen: Die Mutter des Mädchens, es heißt Anna, war bei den Aufnahmen anwesend, sehr oft auch die Frau von Balthus. Der Vorwurf, ein lüsterner Greis begeile sich an einem jungen Mädchen, ist völlig daneben. Es gab auch seitens Anna nie Vorwürfe. Ich habe eine Auswahl an Polaroids daher ganz bewusst in die Ausstellun­g aufgenomme­n. Denn sie erklären viel über den Künstler. Ja, er hat über 2000 Polaroids nicht nur von Anna, sondern auch von Landschaft­en geschossen – als Studien für Gemälde. Er wollte das Vollkommen­e in einem Arrangemen­t erreichen. Es geht daher nicht um die Abbildung eines nackten Mädchens oder der Natur, sondern um eine künstleris­che Übersetzun­gsleistung. Seit der Jahrtausen­dwende ist eine neue Prüderie feststellb­ar. Muss man nicht dem Zeitgeist Rechnung tragen?

Ich kann mit Political Correctnes­s in der Kunst nicht wahnsinnig viel anfangen. Ich verstehe, dass man alles unternimmt, um Kinder zu schützen. Aber etwas Harmloses zu kriminalis­ieren ist unangebrac­ht. Wie geht es mit dem Kunstforum Wien weiter?

Es wird ein starkes Jahr. Ab 8. September zeigen wir Martin Kippenberg­er. Und danach, ab 7. Dezember, in Kooperatio­n mit der Londoner Tate die US-Kunstikone Georgia O’Keeffe. Schon. Aber die Bank Austria muss radikal sparen, der Vorstandsv­orsitzende Willibald Cernko legt seine Funktionen mit 29. Februar nieder. Er war ein Verteidige­r des Kunstforum­s. Wird man sich das Haus weiterhin leisten können?

Ja, Cernko war ein Verteidige­r des Kunstforum­s. Ich denke, dass sein Nachfolger Robert Zadrazil das Engagement fortsetzen wird. Er war in den letzten Jahren immer wieder bei uns. Ich habe keinerlei Sorgen. Denn das Kunstforum Wienist ein Asset – gerade in Zeiten wie diesen. Unsere letzte Ausstellun­g – „Liebe in Zeiten der Revolution. Künstlerpa­are der russischen Avantgarde“– wurde mit hymnischen Kritiken bedacht und zur besten Ausstellun­g des Jahres gekürt. Zudem hat das Kunstforum ja nicht nur die Bank Austria als Sponsor. Dass die Bank Austria ihren Beitrag reduziert?

Geht nicht. Denn dann kann ich keine Ausstellun­gen mehr machen. Der Betrag ist seit Jahren gedeckelt und daher weniger wert geworden. Die Ausgaben aber sind gestiegen. Balthus hat uns über eine Million Euro gekostet, Georgia O’Keeffe wird über 1,5 Millionen kosten. Ich hoffe, dass sie ein Renner wird. Denn ich bin ja von den Einnahmen abhängig. Die Sammlung der Bank wird vom Kunstforum mitbetreut. Kommt es noch zu Ankäufen?

Wir verwalten die Sammlung und präsentier­en zwei Mal im Jahr unter dem Titel „Collected“verschiede­ne Aspekte. Und profitiere­n von ihr, denn wir können die Werke verleihen. Es gibt nach wie vor ein Ankaufsbud­get, die Höhe für heuer wird noch definiert. In den letzten Jahren machte sie bis zu 200.000 Euro aus. Die Sammlung ist sehr lebendig.

 ??  ?? Ähnlicher Aufbau wie „Das Patience-Spiel“(1943): Das Ölgemälde „Die Kinder Blanchard“(1937)
Ähnlicher Aufbau wie „Das Patience-Spiel“(1943): Das Ölgemälde „Die Kinder Blanchard“(1937)
 ??  ?? Eiseskälte als Thema: „Cathys Toilette“(1933) von Balthus
Eiseskälte als Thema: „Cathys Toilette“(1933) von Balthus
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Eröffnet die Retrospekt­ive am Dienstagab­end: Ingried Brugger

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