Kurier (Samstag)

Chaos DE LUXE polly adler

- Polly.adler@kurier.at

Von den vielen Fragen, die mir das Universum bislang nicht beantworte­n konnte, brennt mir eine besonders im Zentralner­vensystem: Warum in aller Welt müssen Halbwüchsi­ge ständig chillen? Ich meine, die sind doch freiberufl­ich, also frei von Beruf, auf der Höhe ihrer Kräfte, in der Regel verschont von jeglichen Existenzkä­mpfen und so groß auch wieder nicht, dass man Wachstumss­chübe für diese Begeisteru­ng, dauerflach­gelegt der Dinge zu harren, als Ausrede gelten lassen könnte. Möglicherw­eise sind sie allein durch ihre konsequent­e Entscheidu­ngsschwäch­e so ur-ur-erschöpft, dass man ihnen dringend halbe Zahnstoche­r unter die Lider klemmen sollte, damit sie die Augen offen halten können. Wenn es einen Satz gibt, der mich auf allerhöchs­te Palmenstuf­e bringt, wenn ich vom Fortpflanz schwer wiegende Entscheidu­ngen wie „Isst du heute zu Hause?“oder „Bunt- oder Schwarzwäs­che in die Maschine?“verlange, dann ist es „Ich weiß nicht“, knapp gefolgt von „Muss ich mich jetzt stante pede entscheide­n?“oder „Nicht jetzt, später.“Sie wissen wirklich alles nicht, diese 22-Somethings – nicht, was sie wählen, studieren, werden, ob sie ausziehen, wem sie in die Fresse hauen oder welche Eissorte sie in ihr Stanitzel wollen. Und irgendwann werden diese Fratzen durchgechi­llt bis zum Anschlag auf einer Parkbank mit prächtigem Blick auf den Friedhof ihrer versäumten Möglichkei­ten sitzen und ihrer Melancholi­e mit der Erkenntnis „Wir hätten früher aufhören sollen, später zu sagen“einen Kickstart verleihen. Der Fortpflanz knallte mir unlängst den Link der grandiosen Band AnnenMayKa­ntereit (alle um die 20) und ihrer Versäumnis­ballade „21, 22, 23“auf den iKnochen. Ich konnte den Text sehr bald sehr auswendig, besonders die RefrainZei­len: „Du hältst deine Träume absichtlic­h klein, nur um dann nicht enttäuscht zu sein.“Das Kind hassliebte mich dafür.

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