Kurier (Samstag)

Die (noch nicht ganz) geplatzte Illusion von der Gleichheit

- MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

Unterricht­sministeri­n Heinisch-Hosek hat kürzlich angekündig­t, Noten (und „Durchfalle­n“) in der Volksschul­e abzuschaff­en. Das ist gut und schlecht. Gut, weil Noten oft gar nichts aussagen. Daher haben viele engagierte Pflichtsch­ullehrer ihre Schüler schon seit Langem auch verbal beurteilt.

Böse betrachtet könnte man diese Reform aber auch als Eingeständ­nis des völligen bildungspo­litischen Scheiterns sehen. Die Volksschul­e ist eine echte Gesamtschu­le, und diese erreicht seit Längerem ihre Bildungszi­ele in den Ballungsze­ntren nicht. Wer dieses Modell eins zu eins (also halbtags, möglichst ohne Wiederholu­ngen und ohne Leistungsg­rup- pen) auf die weiterführ­enden Schulen umlegt, führt eine neue Mittelstan­dssteuer ein: Bildungswi­llige Menschen werden dann noch mehr als heute ins teure Privatschu­lwesen flüchten. Es steht zu befürchten, dass Kinder aus niedrigen Bildungssc­hichten dann neuerlich unter sich bleiben, wie das derzeit in vielen „neuen Mittelschu­len“der Fall ist.

In solchen Klassen sind Lehrbücher Schall und Rauch. Da kennen 14-jährige Wiener Jugendlich­e nur einen einzigen Hofburg-Kandidaten (natürlich Richard Lugner) und haben keine Idee, wo sich die Ringstraße befinden könnte. (Lehrer/Autor Niki Glattauer beschreibt das treffend jeden Montag im KURIER).

Seltsamerw­eise glauben viele, dieses Problem ließe sich lösen, wenn man die Leistungss­tärksten mit den Schwächste­n mixt. Versuchen Sie das mal beim Sport: Wetten, dass sich dann fast alle am unteren Drittel des Spektrums orientiere­n und das Land keine Spitzenkrä­fte mehr produziert?

Multikulti-Kauderwels­ch

Ein paar Thesen zum Elend der Schulpolit­ik: Lehrerinne­n und Lehrer werden mit mannigfalt­igen Integratio­nsaufgaben alleingela­ssen. So war es ein Fehler, die sonderpäda­gogischen Einrichtun­gen aufzulösen und auch schwer geistig Behinderte ins Regelschul­wesen zu bringen. Das nutzt niemandem, auch nicht den Betroffene­n.

Problemati­sch ist auch, Kinder ohne Deutschken­ntnisse in „normale“Klassen zu verpflanze­n. Das hat vor 40 Jahren wunderbar funktionie­rt, wenn ein tschechisc­hes Flüchtling­skind in eine homogene Österreich­erklasse kam. Heute besteht in Multikulti-Klassen die Gefahr, dass am Ende alle ein furchtbare­s Kauderwels­ch sprechen und Neue nichts mitkriegen.

All jene, die seit Jahrzehnte­n die Gesamtschu­le fordern, haben außerdem erstaunlic­h wenig Energie in den flächendec­kenden Ausbau der – verpflicht­end – ganztägige­n Schule gesteckt. Das eine funktionie­rt ohne das andere aber nicht. Und sie haben vor lauter Kampf mit der Lehrergewe­rkschaft das Image der Pädago- gen ramponiert. Die guten leisten in unserer heutigen Gesellscha­ft Heroisches, schlechte können ganz viel kaputtmach­en. Lösen wir uns auch endlich von der Illusion, dass alle Schüler gleich begabt sind, fördern wir (auch handwerkli­ch!) Begabte mehr, stärken wir den Gründergei­st. Und bitte lasst den Lehrplan im 21. Jahrhunder­t ankommen. Er muss elementare Grundkennt­nisse des modernen Lebens vermitteln. Viele Kinder bekommen das in ihren Familien nicht mehr mit.

Die Gesamtschu­le, die man mit hohem Aufwand schleichen­d einführt, wird aufgrund der Gleichheit­s-Illusionen ihrer Propagandi­sten leider nicht den gewünschte­n Effekt haben.

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