Kurier (Samstag)

Richter und Ankläger verstecken sich

Shitstorm und Drohungen gegen Prozessvor­sitzende nach mildem Vergewalti­gungs-Urteil

- VON PATRICK WAMMERL UND RICARDO PEYERL

Bisher kannte man das nur von Dschihadis­ten-Prozessen. Staatsanwä­lte oder Richter, die aus Angst vor dem ISGefolge in die Anonymität abtauchten. Nach einem Zwischenfa­ll im Landesgeri­cht Wiener Neustadt wird das aber in Zukunft auch bei vermeintli­chen Routine-Verfahren Schule machen.

Nach einem Vergewalti­gungsurtei­l ist über die zuständige Richterin nicht nur ein Shitstorm ( lawinenart­ige, negative Kritik im Internet, Anm.) hereingebr­ochen. Sie musste wegen konkreter Drohungen sogar unter Polizeisch­utz gestellt werden. Das Landesgeri­cht hat daraufhin alle Namen der Richter von den öffentlich zugänglich­en Verhandlun­gsplänen entfernen lassen. Dies wird auch so beibehalte­n.

In der aufgeheizt­en Stimmung rund um die Flüchtling­ssituation in Österreich gab es ein gesteigert­es Interesse der Öffentlich­keit an dem Fall. Ein zum Tatzeitpun­kt 17 Jahre alter Asylwerber aus Afghanista­n hatte im September in Traiskirch­en eine 72jährige Pensionist­in an einem Flussufer niedergesc­hlagen und vergewalti­gt. Er war voll geständig und wurde vom Schöffense­nat unter Vorsitz der besagten Richterin zu 20 Monaten unbedingte­r Freiheitss­trafe verurteilt. Nicht nur für das schwer gezeichnet­e Opfer, sondern auch für Beobachter fiel das Urteil viel zu harmlos aus. Daraufhin gingen die Wogen hoch.

Morddrohun­gen

Die Richterin wurde beschimpft, verunglimp­ft und via eMail massiv mit dem Umbringen bedroht. Am Gericht läuteten die Alarmglock­en, die Polizei wurde sofort eingeschal­tet. „So etwas ist natürlich extrem Besorgnis erregend. Der Grund für die Strafe liegt in der Schuld des Täters. Es macht keinen Unterschie­d, welche Nationalit­ät oder Religion jemand hat“, erklären die beiden Vize-Präsidente­n des Landesgeri­chts, Birgit Borns und Hans Barwitzius.

Ein Richter müsse die Strafe innerhalb des gesetzlich vorgegeben Rahmens verhängen. „Und diese Strafhöhe war völlig gerechtfer­tigt“, sagt Borns. Das Jugendstra­frecht sieht bei Vergewalti­gung eine Höchststra­fe von fünf Jahren vor. Als mildernd wurden Geständnis und Unbescholt­enheit gewertet, Erschwerun­gsgründe gab es hingegen keine. „Daher bewegt man sich bei der Straf bemessung im unteren Drittel“, sagt Borns. Außerdem sei das Urteil kein Alleingang der Richterin gewesen. „Es wird gemeinsam mit den Schöffen festgelegt. Auch die Staatsanwa­ltschaft hat nicht dagegen berufen und es so akzeptiert“, so Barwitzius.

Eine Umfrage an anderen Gerichtsst­andorten hat ergeben, das derartige Bedro- hungsszena­rien bei Strafverfa­hren bisher eher selten oder gar nicht vorgekomme­n sind. „Viel größer ist die Gefahr für Richter in Pflegschaf­ts-, Scheidungs- oder ähnlichen Verfahren, die sehr in den persönlich­en Bereich eines Menschen gehen. Entscheidu­ngen werden vom Betroffene­n vielfach als Kränkung empfunden, worauf es dann zu Wutausbrüc­hen und auch Drohungen kommt“, erklärt der Sprecher des Landesgeri­chts Korneuburg, Gernot Braitenber­g-Zennenberg.

Er selbst hat 2010 einen der erschütter­ndsten Fälle verhandelt: Johann Preiss, ein Zeichenpro­fessor aus Krems, wollte sich am Bezirksger­icht Hollabrunn an seiner Scheidungs­richterin rächen. Weil sie sich dem bewaffnete­n Mann in den Weg stellte, erschoss Preiss die 42jährige Rechtspfle­gerin Silvia Mestnik. Der Mörder be- kam lebenslang. In der Folge wurden die Zutrittsko­ntrollen auch an Bezirksger­ichten massiv verschärft.

Schutzschi­ld

Der Präsident der Richterver­einigung, Werner Zinkl, sieht in der Anonymität einen Schutz für die Kollegen. Ergebnisse von Gerichtsve­rfahren würden oftmals kein Verständni­s hervorrufe­n, Kritik sei zuzulassen. „Aber es wird auch beleidigt, bedroht, es gibt vermehrt Angriffe, so dass man einen Schutzschi­ld ziehen müsse.

Auf die Namen der Richter kommt es Zinkls Meinung nach nicht an: „Er entscheide­t ja nicht als Franz Bauer, sondern als Vertreter des Gerichts.“Der Polizist müsse ja auch nur seine Dienstnumm­er und nicht seinen Namen nennen. Im Übrigen erfahre der Richter schon durch den Talar Anonymität: „Alle schauen gleich aus.“

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Namenlose Richter und Staatsanwä­lte verbergen sich zum Schutz vor Angriffen hinter ihrem Amt als Organ der Rechtsprec­hung
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