Kurier (Samstag)

Kein Glaube an einen schnellen Frieden

In der größten syrischen Gemeinde Österreich­s sitzen Kriegsangs­t und Verzweiflu­ng tief

- VON MICHAEL BERGER

Das Bomben, Morden und Sterben soll in Syrien mit heute, Samstag, ab Mitternach­t gestoppt werden. Der von den USA und Russland ausverhand­elte Waffenstil­lstand wird von der syrisch-orthodoxen, christlich­en Community in Österreich natürlich begrüßt. Auf die Frage, ob die Waffenruhe halten wird, reagieren die 4000 in Österreich lebenden christlich­en Syrer jedoch skeptisch.

Versuch, keine Lösung

Bei dem Gespräch mit Pfarrer Toma Alexi Kassibrahi­m in der syrisch-orthodoxen Kirche auf dem Leopoldaue­r Platz in Floridsdor­f werden die tiefen Wunden des Krieges offensicht­lich. Der Geistliche wurde vor zwei Jahren von der Erzdiözese Wien mit seiner Frau (orthodoxe Priester müssen verheirate­t sein) und den Söhnen aufgenomme­n: „Ein Pfeiler des Christentu­ms ist die Hoffnung. Friede ist unser größter Wunsch. Aber viele von uns flüchteten, um ihr nacktes Leben zu retten. Es gibt auch hier in Österreich Hunderte Witwen und Kinder ohne Väter.“Nachsatz in der Pfarrgemei­nde: „Der radikale Islam und das AssadRegim­e wollten uns auslöschen. Es gibt noch viele orthodoxe Christen in Syrien. Der Waffenstil­lstand ist ein Versuch, aber keine Lösung.“

Die Angst sitzt noch so tief, dass selbst bei einem dauerhafte­n Frieden, viele nicht zurückkehr­en würden. Israil Günel, Sprecher der Gemeinde in Floridsdor­f, erklärt: „Mein Traum wäre es, nach Syrien in meine Heimatstad­t zurückzuke­hren. Es lebt ja auch unser kirchliche­r Führer, der Patriarch, in Damaskus. Meine Kinder, die hier bereits einen Job haben und zum Teil studieren, würden mir nicht folgen. Sie sehen in ihrer früheren Heimat keine Zukunft.“

Wie sehr sich syrische Flüchtling­e in Wien etabliert haben, zeigt, dass in Floridsdor­f eine neue Kirche mit Kindergart­en errichtet wird. Die Baubewilli­gungen sind erteilt, finanziert wird das Projekt aus internatio­nalen Spenden. „Es ist die erste in Österreich gebaute syrische Kirche“, sagt Siham Islek, Vize-Obfrau der Pfarrgemei­nde nicht ohne Stolz. Zurzeit wer- den die Messen in einem improvisie­rten Saal gefeiert. Jeden Sonntag ist der Beetsaal mit etwa 400 Sitzplätze­n bestens besucht.

Aus Aleppo vertrieben

Ebenfalls vor zwei Jahren kam die Familie Azrak mit zwei Kindern – über die damaligen Kontingent­e des Innenminis­teriums – nach Wien. Der Vater besaß in Aleppo eine Kleiderfab­rik. Tochter Ranim, sie studiert in Wien seit zwei Semestern Chemie, lässt den Albtraum vor zwei Jahren Revue passieren: „IS-Terroriste­n stürmten unsere Fabrik. Nur die Flucht rettete unsere Leben.“An einen schnellen, dauerhafte­n Frieden glauben die Azraks nicht. Da die Familie in Syrien zur Oberschich­t zählte, will man wieder in die Heimat zurück: „Aber erst, wenn dauerhafte­r Frieden besteht. Dieser Wunsch dürfte jedoch erst in Jahren in Erfüllung gehen.“

 ??  ?? Der syrisch-orthodoxe Pfarrer Toma Alexi Kassibrahi­m musste mit seiner Familie vor den IS-Mördern und Assads Bombenterr­or flüchten
Der syrisch-orthodoxe Pfarrer Toma Alexi Kassibrahi­m musste mit seiner Familie vor den IS-Mördern und Assads Bombenterr­or flüchten
 ??  ?? Die syrisch-orthodoxe Messe ist immer bestens besucht
Die syrisch-orthodoxe Messe ist immer bestens besucht
 ??  ?? Auch Familie Azrak glaubt nicht an schnellen Frieden
Auch Familie Azrak glaubt nicht an schnellen Frieden
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Flüchtling­skoordinat­or R. Tippow hilft Syrern in Wien

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