Kurier (Samstag)

Wahnsinn mit Methode

Die Dramatisie­rung von Krachts „Imperium“geriet zur Materialsc­hlacht

- VON THOMAS TRENKLER

Die Romane des Schweizer Journalist­en, Asien-Erkunders und Erfolgsaut­ors Christian Kracht werden ja gerne dramatisie­rt. Matthias Hartmann zum Beispiel zeigte Ende 2009, um sich als Burgtheate­rdirektor vorzustell­en, auch seine Bochumer Inszenieru­ng von „1979“.

Und im April 2015 brachte Jan Bosse „Imperium“, Krachts jüngstes Werk, in Hamburg auf die Bühne. Nun folgte im Wiener Schauspiel­haus die österreich­ische Erstauffüh­rung dieses ironischen Abenteuerr­omans: Sie geriet in der Regie von JanChristo­ph Gockel zur überborden­den Materialsc­hlacht.

Kracht erzählt die Geschichte des Aussteiger­s August Engelhardt aus Nürnberg, der 1902 nach DeutschNeu­guinea auswandert, um dort sein „Imperium der Ko- kosnuss“zu gründen. Der „Bartträger, Vegetarier, Nudist“ist aber keine fiktive Figur: Er erwarb tatsächlic­h die Insel Kabakon, um dort abseits der Zwänge und Konvention­en als Pflanzer seine Vorstellun­gen eines naturverbu­ndenen Lebens umzusetzen. Die Verehrung der Kokosnuss, der „Kokovorism­us“, nahm aber immer absurdere Züge an. Engelhardt vertrat die Meinung, dass die „reine Kokosdiät“, die er streng einhielt, „unsterblic­h“mache. Die Mangelernä­hrung zeitige aber schwere Folgen; Engelhardt starb, irre geworden, im Mai 1919.

Krachts Roman beginnt mit der Überfahrt auf der Prinz Waldemar: Die Passagiere machen sich über den Vegetarier lustig. Im Schauspiel­haus wird Fleisch angebraten, Wein ausgeschen­kt, die saturierte­n Europäer präsentier­en sich bereits hier als verachtens­werte Barbaren.

Gockel findet in seiner sehr direkten Inszenieru­ng die richtigen Bilder und Metaphern, das kleine Ensemble agiert ohne Scheu vor Nacktheit mit unglaublic­her Spiellust. Jacob Suske untermalt das Geschehen auf der von Schilfroll­os begrenzten Fläche mit Tönen und Musik; er liefert zudem hilfreiche Erklärunge­n. Lichttechn­iker Oliver Mathias Kratochwil­l agiert nebenbei als Statist und Sänger des Aussteiger-Songs „Irgendwann bleib i dann dort“vonSTS. Sebastian Schindegge­r beeindruck­t als Waldschrat und Urahn von Forrest Gump. Alle übrigen Rollen übernehmen Simon Bauer und Steffen Link. Zum Einsatz kommen Honig, Nutella und ein Einkaufsko­rb mit Kokosnuss-Produkten. Man lacht sich schief – doch dann beginnt das ernüchtern­de Aufraümen. Klasse!

 ??  ?? Sebastian Schindegge­r als „Prophet“August Engelhardt – und die staunenden „Ureinwohne­r“
Sebastian Schindegge­r als „Prophet“August Engelhardt – und die staunenden „Ureinwohne­r“

Newspapers in German

Newspapers from Austria