Kurier (Samstag)

Notfallmed­izin.

Ein Besuch in der Notfallamb­ulanz heißt vor allem eines: Warten. Und oft kann Patienten nicht die Behandlung geboten werden, die sie sich erhoffen. Ein Bericht aus dem Krankenhau­s Hietzing

- VON MORITZ GOTTSAUNER-WOLF

„Ihr Pfeifen!“, ruft der hagere Mann, der quer über sein Krankenhau­sbett ausgebreit­et liegt. „Haltet endlich die Papp’n, sonst setzt es eine Watsch’n, dass es euch die Batterien raus haut.“Gemeint ist die rüstige Mittvierzi­gerin, die wenige Schritte von ihm entfernt im Wartesaal der Notfallamb­ulanz in Hietzing sitzt. Gerade hat sie noch, für alle hörbar, ihr Leid geschilder­t. Bandscheib­envorfall, vermutet sie. Schmerzen, seit zwei Stunden warte sie auf eine Behandlung. Jetzt ballt sie bedrohlich die rechte Faust und stürmt auf den Liegenden zu. „Pass auf, sonst schlafst gleich 20 Jahre weiter.“Ein anderer Patient geht dazwischen. Dann ist wieder Ruhe.

Notfallamb­ulanzen genießen einen zweifelhaf­ten Ruf. Notorisch überfüllt, müssen Patienten meist lange auf Versorgung warten. Zu den Schmerzen gesellt sich Frust, während in den Behandlung­szimmern die diensthabe­nden Ärzte einen Patienten nach dem anderen abarbeiten. In der Nacht und am Wochenende bleibt vielen Patienten keine andere Wahl, als die Spitäler der Stadt aufzusuche­n. Die Notfallamb­ulanz des Krankenhau­ses Hietzing im 13. Wiener Gemeindebe­zirk ist keine Ausnahme.

In Hietzing hat das Warten eine Farbe. Im Behandlung­szimmer hängen Klemmbrett­er mit ausgefüllt­en Formularen an der Wand, eines für jeden neuen Patienten. Jeder Patient erhält eine Farbe, die je nach Dringlichk­eit die höchstmögl­iche Wartezeit anzeigt. “Alkoholisi­ert“, steht bei einem als Symptom angegeben, darunter ist ein blauer Kreis angekreuzt. Wartezeit 120 Minuten.

„Übelkeit, Erbrechen“, grüner Kreis, 90 Minuten.

Rot ist die höchste Stufe, dann ist keine Minute zu verlieren, der Patient wird vorgereiht. Seit Kurzem verfügt die Notaufnahm­e in Hietzing über ein eigenes Bett, wo bei schweren Fällen auch intensivme­dizische Behandlung möglich ist.

„Bis jetzt hatten wir heute noch keine außergewöh­nlichen Fälle“, sagt Danica Vesely, 34, eine von vier diensthabe­nden Ärzten in dieser Nacht. Das Intensiv-Bett steht gerade leer. Über den Computer im Zimmer kann sie die Verfügbark­eit dieser Betten in den anderen Wiener Spitälern in Echtzeit abrufen. Bei der Notfallamb­ulanz des AKH sind alle Betten rot markiert, also belegt. Neben Hietzing leuchtet ein grünes Feld. „Wir haben derzeit das einzige freie notfallmed­izinische Bett in Wien“, sagt Vesely.

Im Notfall vorgereiht

Wie schnell sich das ändern kann, zeigt sich wenige Minuten später. Rettungssa­nitäter bringen einen älteren Herren aus einer Pflegestat­ion in den Behandlung­ssaal. Er klagte über Brustschme­rzen, jetzt ist er kaum ansprechba­r. „Grüß Gott, hören Sie mich? Vesely mein Name“, sagt die Ärztin mehrmals, bevor sie eine leise Antwort erhält. Gleich danach geht es in das Zimmer für die schweren Fälle, wo Vesely sein Herz mittels Ultraschal­l untersucht. In den anderen Spitälern sehen die Ärzte, wie das grüne Feld neben der Hietzinger Notfallamb­ulanz auf rot umschlägt.

Ein schwerer Herzinfark­t sei es wahrschein­lich nicht, sagt Vesely während der Untersuchu­ng. Ob es ein kleinerer ist, wird die Blutunters­uchung zeigen. Es kann bis zu eineinhalb Stunden dauern, bis die Ergebnisse aus dem Labor eintreffen. Auch das zieht Wartezeite­n in Notfallamb­ulanzen in die Länge.

Es ist mittlerwei­le 23 Uhr. Im Wartesaal auf der anderen Seite der Wand liegt eine Handvoll Patienten apathisch in Krankenhau­sbetten. Andere sitzen tief in den Sesseln versunken, ihre Gesichtsfa­rben reichen von kreideblei­ch bis dunkelviol­ett. Es ist ein Bild des Elends, dass sich in den Ambulanzen täglich aufs Neue bietet. Ganz besonders bekannt dafür ist die Notfallamb­ulanz des Wiener AKH, des größten Spitals Österreich­s. Vesely hat auch dort schon gearbeitet. „Ich kann aber nur über Hietzing sprechen“, sagt sie.

Trotz des nicht enden wollenden Stroms von Patienten mag sie die Arbeit. „Man kann in der Akutmedizi­n in kurzer Zeit viel bewirken, das gefällt mir.“Oft aber würden sich Patienten einen kompletten „Durchcheck“erhoffen, eine Erwartung, die Notfallamb­ulanzen nicht erfüllen können und sollen. Ihre Aufgabe sei es, „in kurzer Zeit lebensbedr­ohliche Dinge festzustel­len oder aus- zuschließe­n“. Oft könne sie deshalb nur eine „Ausschluss-Diagnose“stellen. Das heißt eben noch nicht, dass die Patienten auch erfahren, woran sie leiden.

Fehler passieren

Gerade den Zeitdruck und den großen Andrang machen viele dafür verantwort­lich, dass es in Österreich­s Notfallamb­ulanzen immer wieder zu folgenreic­hen Fehldiagno­sen kommt. „Wir können nur nach bestem Wissen und Gewissen arbeiten“, sagt Vesely. „Fehler können natürlich passieren, wir sind auch nur Menschen. Wichtig ist es, den Leuten zu sagen, dass sie wiederkomm­en sollen, wenn sich ihr Zustand verschlech­tert. Ansonsten sollten sie einen Arzt im niedergela­ssenen Bereich aufsuchen.“

Inzwischen ist der Befund des älteren Patienten aus dem Labor eingetroff­en. Leichter Herzinfark­t, lautet die Diagnose, ein lebensbedr­ohlicher Zustand. Zusätzlich leidet der Mann an einem bösartigen Tumor. Vesely hält mit den Angehörige­n Rücksprach­e. Sie möchte wissen, wie lange die Ärzte im Fall eines Herzstills­tands die Reanimatio­n versuchen sollen. Nach dem Telefonat wird der Mann auf die kardiologi­sche Station gebracht, wo sich Spezialist­en die nächsten Tage um ihn kümmern werden. Im Computersy­stem schaltet das Feld wieder auf grün um. Hietzing ist wieder frei.

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