Notfallmedizin.
Ein Besuch in der Notfallambulanz heißt vor allem eines: Warten. Und oft kann Patienten nicht die Behandlung geboten werden, die sie sich erhoffen. Ein Bericht aus dem Krankenhaus Hietzing
„Ihr Pfeifen!“, ruft der hagere Mann, der quer über sein Krankenhausbett ausgebreitet liegt. „Haltet endlich die Papp’n, sonst setzt es eine Watsch’n, dass es euch die Batterien raus haut.“Gemeint ist die rüstige Mittvierzigerin, die wenige Schritte von ihm entfernt im Wartesaal der Notfallambulanz in Hietzing sitzt. Gerade hat sie noch, für alle hörbar, ihr Leid geschildert. Bandscheibenvorfall, vermutet sie. Schmerzen, seit zwei Stunden warte sie auf eine Behandlung. Jetzt ballt sie bedrohlich die rechte Faust und stürmt auf den Liegenden zu. „Pass auf, sonst schlafst gleich 20 Jahre weiter.“Ein anderer Patient geht dazwischen. Dann ist wieder Ruhe.
Notfallambulanzen genießen einen zweifelhaften Ruf. Notorisch überfüllt, müssen Patienten meist lange auf Versorgung warten. Zu den Schmerzen gesellt sich Frust, während in den Behandlungszimmern die diensthabenden Ärzte einen Patienten nach dem anderen abarbeiten. In der Nacht und am Wochenende bleibt vielen Patienten keine andere Wahl, als die Spitäler der Stadt aufzusuchen. Die Notfallambulanz des Krankenhauses Hietzing im 13. Wiener Gemeindebezirk ist keine Ausnahme.
In Hietzing hat das Warten eine Farbe. Im Behandlungszimmer hängen Klemmbretter mit ausgefüllten Formularen an der Wand, eines für jeden neuen Patienten. Jeder Patient erhält eine Farbe, die je nach Dringlichkeit die höchstmögliche Wartezeit anzeigt. “Alkoholisiert“, steht bei einem als Symptom angegeben, darunter ist ein blauer Kreis angekreuzt. Wartezeit 120 Minuten.
„Übelkeit, Erbrechen“, grüner Kreis, 90 Minuten.
Rot ist die höchste Stufe, dann ist keine Minute zu verlieren, der Patient wird vorgereiht. Seit Kurzem verfügt die Notaufnahme in Hietzing über ein eigenes Bett, wo bei schweren Fällen auch intensivmedizische Behandlung möglich ist.
„Bis jetzt hatten wir heute noch keine außergewöhnlichen Fälle“, sagt Danica Vesely, 34, eine von vier diensthabenden Ärzten in dieser Nacht. Das Intensiv-Bett steht gerade leer. Über den Computer im Zimmer kann sie die Verfügbarkeit dieser Betten in den anderen Wiener Spitälern in Echtzeit abrufen. Bei der Notfallambulanz des AKH sind alle Betten rot markiert, also belegt. Neben Hietzing leuchtet ein grünes Feld. „Wir haben derzeit das einzige freie notfallmedizinische Bett in Wien“, sagt Vesely.
Im Notfall vorgereiht
Wie schnell sich das ändern kann, zeigt sich wenige Minuten später. Rettungssanitäter bringen einen älteren Herren aus einer Pflegestation in den Behandlungssaal. Er klagte über Brustschmerzen, jetzt ist er kaum ansprechbar. „Grüß Gott, hören Sie mich? Vesely mein Name“, sagt die Ärztin mehrmals, bevor sie eine leise Antwort erhält. Gleich danach geht es in das Zimmer für die schweren Fälle, wo Vesely sein Herz mittels Ultraschall untersucht. In den anderen Spitälern sehen die Ärzte, wie das grüne Feld neben der Hietzinger Notfallambulanz auf rot umschlägt.
Ein schwerer Herzinfarkt sei es wahrscheinlich nicht, sagt Vesely während der Untersuchung. Ob es ein kleinerer ist, wird die Blutuntersuchung zeigen. Es kann bis zu eineinhalb Stunden dauern, bis die Ergebnisse aus dem Labor eintreffen. Auch das zieht Wartezeiten in Notfallambulanzen in die Länge.
Es ist mittlerweile 23 Uhr. Im Wartesaal auf der anderen Seite der Wand liegt eine Handvoll Patienten apathisch in Krankenhausbetten. Andere sitzen tief in den Sesseln versunken, ihre Gesichtsfarben reichen von kreidebleich bis dunkelviolett. Es ist ein Bild des Elends, dass sich in den Ambulanzen täglich aufs Neue bietet. Ganz besonders bekannt dafür ist die Notfallambulanz des Wiener AKH, des größten Spitals Österreichs. Vesely hat auch dort schon gearbeitet. „Ich kann aber nur über Hietzing sprechen“, sagt sie.
Trotz des nicht enden wollenden Stroms von Patienten mag sie die Arbeit. „Man kann in der Akutmedizin in kurzer Zeit viel bewirken, das gefällt mir.“Oft aber würden sich Patienten einen kompletten „Durchcheck“erhoffen, eine Erwartung, die Notfallambulanzen nicht erfüllen können und sollen. Ihre Aufgabe sei es, „in kurzer Zeit lebensbedrohliche Dinge festzustellen oder aus- zuschließen“. Oft könne sie deshalb nur eine „Ausschluss-Diagnose“stellen. Das heißt eben noch nicht, dass die Patienten auch erfahren, woran sie leiden.
Fehler passieren
Gerade den Zeitdruck und den großen Andrang machen viele dafür verantwortlich, dass es in Österreichs Notfallambulanzen immer wieder zu folgenreichen Fehldiagnosen kommt. „Wir können nur nach bestem Wissen und Gewissen arbeiten“, sagt Vesely. „Fehler können natürlich passieren, wir sind auch nur Menschen. Wichtig ist es, den Leuten zu sagen, dass sie wiederkommen sollen, wenn sich ihr Zustand verschlechtert. Ansonsten sollten sie einen Arzt im niedergelassenen Bereich aufsuchen.“
Inzwischen ist der Befund des älteren Patienten aus dem Labor eingetroffen. Leichter Herzinfarkt, lautet die Diagnose, ein lebensbedrohlicher Zustand. Zusätzlich leidet der Mann an einem bösartigen Tumor. Vesely hält mit den Angehörigen Rücksprache. Sie möchte wissen, wie lange die Ärzte im Fall eines Herzstillstands die Reanimation versuchen sollen. Nach dem Telefonat wird der Mann auf die kardiologische Station gebracht, wo sich Spezialisten die nächsten Tage um ihn kümmern werden. Im Computersystem schaltet das Feld wieder auf grün um. Hietzing ist wieder frei.