Kurier (Samstag)

Vergewalti­gung: In Österreich ist ein Nein ein Nein

- VON ELISABETH MITTENDORF­ER – YVONNE WIDLER

An der Elite-Universitä­t Stanford vergewalti­gt ein Student eine bewusstlos­e Frau undwird lediglich zu sechs Monaten Haft verurteilt. Das deutsche „It-Girl“Gina-Lisa Lohfink zeigt zwei Männer wegen Vergewalti­gung an und wird der Falschauss­age bezichtigt – obwohl auf einer Videoaufna­hme zu hören ist, wie sie sich gegen den Sex wehrt (siehe re.).

Diese beiden Fälle sexualisie­rter Gewalt beschäftig­en seit Wochen die Medien. Dochsie sind keine Einzelfäll­e: Laut der Europäisch­en Agentur für Grundrecht­e erlebt in der EU jede dritte Frau sexualisie­rte und/oder körperlich­e Gewalt. Romeo Bissuti, Gesundheit­spsycholog­e und Obmann der White Ribbon Kampagne Österreich (www.whiteribbo­n.at), erklärt im Interview, welche gesellscha­ftlichen Rahmenbedi­ngungen Gewalt gegen Frauen begünstige­n und welche Rolle den Medien in puncto Aufklärung­sarbeit zukommt. KURIER: Die White Ribbon Kampagne hat es sich zum Ziel gemacht, Männergewa­lt in Beziehunge­n zu beenden. Welchen Ratschlag geben Sie Männern? Romeo Bissuti: Dass manFrauen in einemguten Momentfrag­t, was für sie Belästigun­g ist und wo sie das schon einmal erlebt haben. Man muss das mit viel Fingerspit­zengefühl machen, denn man weiß nie, ob eine Frau nicht schon viel Schlimmere­s erlebt hat. Wenn ich in Seminaren die Frage stelle, welche Frau schon einmal angegrapsc­ht oder blöd angemacht wurde, gibt es keine, die das nicht kennt. In Berichten über sexuelle Gewalt gegen Frauen taucht immer wieder der Begriff „Rape Culture“, wörtlich übersetzt „Vergewalti­gungskultu­r“, auf. Wie definieren Sie diesen Begriff?

Der Begriff ist aus dem US-amerikanis­chen Feminismus hervorgega­ngen. Er versucht zu beschreibe­n, dass Gewalt, aber auch Vergewalti­gungen und Belästigun­gen von Frauen nicht nur Taten von einzelnen Personen sind, die verrückt oder psychisch krank sind, sondern gesellscha­ftliche Bedingunge­n existieren, die das wahrschein­licher und möglich machen. Wo zeigen sich diese Bedingunge­n in unserer Gesellscha­ft?

Sicher in der Ungleichst­ellung zwischen Männern und Frauen, aber auch in dem Unwissen von Männern darüber, was es heißt, Opfer von sexueller Gewalt zu werden. Darum werden die Vorfälle oft bagatellis­iert. Vielen Männern ist nicht klar, dass sie in bestimmten Dingen privilegie­rt sind. Etwa darin, dass so ziemlich alles mit nackter Frauenhaut beworben wird. Damit wird die Verfügbark­eit des weiblichen Körpers für den Mann repräsenti­ert und ein Klima geschaffen, das Männer dazu einlädt, Grenzverle­tzungen zu begehen. Wie kann das Bewusstsei­n für solche Grenzverle­tzungen gestärkt werden?

Medien kommt eine wichtige Rolle dabei zu, zu sensibilis­ieren und aufzuzeige­n, wo eine Grenzverle­tzung beginnt. Mit der Aufgabe, Frauen nicht als Opfer zu stilisiere­n. Medien geraten jedoch in eine Glaubwürdi­gkeitsfall­e, wenn sie einerseits über Sexismus berichten und anderersei­ts sexistisch­e Werbesujet­s zeigen. Ein aktuelles Beispiel ist die Kampagne des Wettanbiet­ers Bet- at-Home, bei der ein Spechtler eine nackte Frau beobachtet. Dies stellt eine Einladung und Normalisie­rung im öffentlich­en Raum dafür dar, sich Frauen gegenüber voyeuristi­sch zu verhalten. Was läuft in der Berichters­tattung über sexuelle Gewalt falsch?

Neben „Sex sells“gilt auch das Credo „Skandalisi­erung sells“. Ich würde mir wünschen, dass Medien über alle Formen von sexueller Gewalt gegen Frauen berichten und nicht nur über jene Tätergrupp­e, die man ohnehin diffamiere­n möchte. Dass alle Vergewalti­gungsfälle in der Öffentlich­keit zum Thema werden, nicht nur zu Silvester, sondern auch bei anderen großen Festivität­en wie dem Oktober- oder Donauinsel­fest. Außerdem sollte klargemach­t werden, dass die meisten Justiz. Im Fall Gina-Lisa Lohfink entschied die deutsche Justiz, dass es keine Vergewalti­gung war. Das ItGirl soll zudem 24.000 Euro Strafe zahlen, weil sie die Männer fälschlich­erweise einer Straftat bezichtigt habe. In dem Video, das die beiden Männer von der Tat aufgenomme­n und im Jahr 2012 ins Netz gestellt haben, sieht und hört man Lohfink einige Male benebelt „Nein“und „Hör auf“sagen. Ob K.-o.-Tropfen im Spiel waren, ist bei der Untersuchu­ng kaum noch nachweisba­r. In Deutschlan­d regt der Fall dazu an, das Sexualstra­frecht zu erneuern. In Österreich ist das bereits geschehen.

Nach derzeitige­r Rechtslage in Deutschlan­d müssen sich Frauen erkennbar wehren. Ein bloßes „Nein“reicht nicht aus. Der Mann muss die Frau schlagen oder massiv bedrohen, dann gilt die Bezichtigu­ng der Vergewalti­gung.

Seit heuer neu ist in Österreich, dass sich jeder straf bar macht, der sexuelle Handlungen gegen den Willen des anderen vornimmt – auch ohne Gewalt. Helmut Fuchs vom Strafrecht­sinstitut der Uni Wien erklärt: „Ein Nein ist bei uns ein Nein.“Wenn Betäubungs­mittel im Spiel sind, ist das in Deutschlan­d wie in Österreich als Vergewalti­gung straf bar.

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„Männer sind sich ihrer Privilegie­n nicht bewusst“, sagt der Gesundheit­spsycholog­e Romeo Bissuti
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