Eine Odyssee, frei von Klischees und in heutiger Umsetzung
Kritik. Erschöpft und verwirrt liegt Odysseus am Strand von Ithaka, konfrontiert mit der Xenophobie des eigenen Sohnes – so der bildstarke Einstieg in die „Odyssee“, die Alexander Hauer (auch Intendanz und Regie) und Stephan Lack nach Motiven des homerischen Epos für die Sommerspiele Melk verfasst haben.
Offen für Neudeutungen und doch getragen von spürbarer Liebe zum Original gehen sie mit dem Stoff um. Thema sind nicht so sehr die Abenteuer eines „Helden“, sondern vielmehr das, was zehn Jahre Krieg und zehn Jahre Irrfahrt aus dem Menschen gemacht haben. Die bekannten Episoden – etwa die Sirenen, die Zauberin Kirke, die Nymphe Kalypso – tauchen aus der Erinnerung des Protagonisten auf und werden immer wieder in Frage gestellt: Wie konstituiert sich Erinnerung, wo verzerrt sie und wertet um? Wie viel Vergessen braucht der Mensch zum Überleben?
Traumatisiert
Nicki von Tempelhoffs Odysseus zeigt dieselben psychischen Läsionen wie ein traumatisierter Vietnam-Veteran: Nach Hause gekommen findet er keine Heimat mehr. Doris Schretzmayers Penelope hat sich bei aller Verhärmtheit Attraktivität bewahrt. Doch zu einer ganz normalen Ehe werden die beiden nicht mehr zurückfinden. Matti Melchingers Telemachos ist im Haus ohne Hüter zu einem skeptischen Nihilisten herangewachsen. Das gesamte Ensemble überzeugt.
Aus verschachtelten Quadern hat Daniel Sommergruber ein beeindruckendes Bühnenbild gebaut, das gleichzeitiges Spiel an verschiedenen Schauplätzen und spannende Antithesen ermöglicht. Die Kostüme von Julia Lang halten sich frei von Sandalenfilm-Optik. Ein heftig akklamierter Einstieg in das Theaterfest Niederösterreich.