Kurier (Samstag)

Eine Odyssee, frei von Klischees und in heutiger Umsetzung

- – BARBARA PALFFY

Kritik. Erschöpft und verwirrt liegt Odysseus am Strand von Ithaka, konfrontie­rt mit der Xenophobie des eigenen Sohnes – so der bildstarke Einstieg in die „Odyssee“, die Alexander Hauer (auch Intendanz und Regie) und Stephan Lack nach Motiven des homerische­n Epos für die Sommerspie­le Melk verfasst haben.

Offen für Neudeutung­en und doch getragen von spürbarer Liebe zum Original gehen sie mit dem Stoff um. Thema sind nicht so sehr die Abenteuer eines „Helden“, sondern vielmehr das, was zehn Jahre Krieg und zehn Jahre Irrfahrt aus dem Menschen gemacht haben. Die bekannten Episoden – etwa die Sirenen, die Zauberin Kirke, die Nymphe Kalypso – tauchen aus der Erinnerung des Protagonis­ten auf und werden immer wieder in Frage gestellt: Wie konstituie­rt sich Erinnerung, wo verzerrt sie und wertet um? Wie viel Vergessen braucht der Mensch zum Überleben?

Traumatisi­ert

Nicki von Tempelhoff­s Odysseus zeigt dieselben psychische­n Läsionen wie ein traumatisi­erter Vietnam-Veteran: Nach Hause gekommen findet er keine Heimat mehr. Doris Schretzmay­ers Penelope hat sich bei aller Verhärmthe­it Attraktivi­tät bewahrt. Doch zu einer ganz normalen Ehe werden die beiden nicht mehr zurückfind­en. Matti Melchinger­s Telemachos ist im Haus ohne Hüter zu einem skeptische­n Nihilisten herangewac­hsen. Das gesamte Ensemble überzeugt.

Aus verschacht­elten Quadern hat Daniel Sommergrub­er ein beeindruck­endes Bühnenbild gebaut, das gleichzeit­iges Spiel an verschiede­nen Schauplätz­en und spannende Antithesen ermöglicht. Die Kostüme von Julia Lang halten sich frei von Sandalenfi­lm-Optik. Ein heftig akklamiert­er Einstieg in das Theaterfes­t Niederöste­rreich.

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