Kurier (Samstag)

Kultkino Kinokult

- HANS HURCH GUTSCHEIN FÜR EINEN KINOABEND

In den ersten 30 Jahren nach dem 2. Weltkrieg war Italien ein Land, das alle geliebt haben. Roh, ungerecht, rückständi­g, kultiviert, vielschich­tig, unberechen­bar und lebensfroh zugleich. Italien, das war eine Farbe, ein Licht, ein Geschmack, ein Glücksvers­prechen. Vielleicht hatte das etwas zu tun mit den beiden großen ideologisc­hen Blöcken, dem Kommunismu­s und der Kirche, einer fortschrit­tlichen Linken und einer christlich-sozialen Rechten, zwei gegenläufi­ge Bewegungen, die – vereinfach­t und etwas idealisier­end gesagt – das Land und seine Gesellscha­ft in einem produktive­n Spannungsz­ustand, einem politisch und kulturell lebendigen Widerspruc­h hielten. Bis eines Tages auch in Italien die Zukunft begonnen hat, unaufhalts­am und unausweich­lich. Einer der schönsten und zugleich traurigste­n Texte des großen Pier Paolo Pasolini aus jener Zeit beginnt mit dem Satz, „Ist Ihnen schon einmal aufgefalle­n, dass die Glühwürmch­en verschwund­en sind?“Wenn auch ein paar Jahre später entstanden, handelt der Film „La Messa è finita“von diesem Bruch und diesem historisch­en Moment. Er erzählt leicht und komisch, klarsichti­g und herzzerrei­ßend von jenem „Verschwind­en der Glühwürmch­en“, von einer Zeit, die zu Ende geht. Don Giulio war in seiner Jugend ein radikaler Linker, der sich später zum Studium der Theologie entschloss­en hat. Zehn Jahre lang hatte er eine arme Pfarre auf einer gottverlas­senen Insel betreut, als Bruder und Freund der Menschen, ehe man ihn in seine alte Heimatstad­t Rom zurückruft. Diese Rückkehr, mit der „La Messa è finita“beginnt, ist für den Priester zugleich das Eintauchen in die vergessene Welt seiner Jugend, die Rückkehr ins Elternhaus und das Wiedersehe­n mit der Familie, den alten Freunden. Aber etwas hat sich verändert, hat Risse bekommen. Der Vater verlässt seine Frau für eine andere, die Schwester will das Kind, das sie erwartet, nicht haben, die Freunde von früher sind jetzt seltsame Eigenbrötl­er oder langweilig­e, biedere Familienvä­ter. Und in die Kirche verirrt sich so gut wie keiner. Zu allem Überfluss fehlt dem jungen Priester das Verständni­s eines Menschenfi­schers. „Niemand ist so ungeduldig“, sagt Charles Péguy, „wie die Kinder und die Heiligen“. Von beiden hat Don Giulio ein Stück abbekommen. Manchmal überfällt den Gottesmann selbstgere­chte Wut, dann dreht er den Leuten den Fernseher ab, beschimpft die Frau eines Freundes für das miese Essen, das sie ihm auftischt, verweigert einem Gläubigen die Absolution, weil ihn die ewigen Sexgeschic­hten im Beichtstuh­l nerven, und beim Fußballspi­el mit den jungen Burschen lässt er auch nicht immer die Gnade Gottes walten. Dann wieder überkommt Don Giulio in einer billigen Bar unverhofft eine grenzenlos­e Zuneigung zu allen Geschöpfen, und mit religiöser Inbrunst erklärt er den erstaunten Besuchern, „Ich liebe euch alle hier in dieser Bar.“Absurde Komik und tiefe Verzweiflu­ng, kindliches Staunen und störrische­r Widerspruc­h, Gottesfurc­ht und Menschenwu­t, alles liegt in dieser wunderbare­n und berührende­n Figur des Priesters, dargestell­t vom Regisseur Nanni Moretti selbst, ganz nahe beieinande­r. Und in den schönsten Momenten steht er einfach da in seiner bodenlange­n, schwarzen Soutane, unbeholfen und schlafwand­lerisch und hebt die Arme zum Segen als wäre er Buster Keaton und nicht ein kleiner römischer Pfarrer. „La messa è finita – Die Messe ist aus“in der Originalfa­ssung mit Untertitel im Metro Kinokultur­haus am 21. Juni, 20 Uhr und 22. Juni 18 Uhr

(*1953) Autor, Darsteller, Regisseur, manchmal auch Cutter: Dieser Künstler ist Autorenfil­mer reinsten Wassers. Immer wieder Thema ist – die Kirche. „Die Messe ist aus – La messa è finita“(1985) Drehbuch:

NANNI MORETTI

N. MORETTI, SANDRO PETRAGLIA N. MORETTI, FERRUCCIO DE CESERA, MARCO MESSERI, ENRICA MARIA MODUGNO 94 MIN, FARBE, OMU, 35MM

Darsteller:

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