Kultkino Kinokult
In den ersten 30 Jahren nach dem 2. Weltkrieg war Italien ein Land, das alle geliebt haben. Roh, ungerecht, rückständig, kultiviert, vielschichtig, unberechenbar und lebensfroh zugleich. Italien, das war eine Farbe, ein Licht, ein Geschmack, ein Glücksversprechen. Vielleicht hatte das etwas zu tun mit den beiden großen ideologischen Blöcken, dem Kommunismus und der Kirche, einer fortschrittlichen Linken und einer christlich-sozialen Rechten, zwei gegenläufige Bewegungen, die – vereinfacht und etwas idealisierend gesagt – das Land und seine Gesellschaft in einem produktiven Spannungszustand, einem politisch und kulturell lebendigen Widerspruch hielten. Bis eines Tages auch in Italien die Zukunft begonnen hat, unaufhaltsam und unausweichlich. Einer der schönsten und zugleich traurigsten Texte des großen Pier Paolo Pasolini aus jener Zeit beginnt mit dem Satz, „Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Glühwürmchen verschwunden sind?“Wenn auch ein paar Jahre später entstanden, handelt der Film „La Messa è finita“von diesem Bruch und diesem historischen Moment. Er erzählt leicht und komisch, klarsichtig und herzzerreißend von jenem „Verschwinden der Glühwürmchen“, von einer Zeit, die zu Ende geht. Don Giulio war in seiner Jugend ein radikaler Linker, der sich später zum Studium der Theologie entschlossen hat. Zehn Jahre lang hatte er eine arme Pfarre auf einer gottverlassenen Insel betreut, als Bruder und Freund der Menschen, ehe man ihn in seine alte Heimatstadt Rom zurückruft. Diese Rückkehr, mit der „La Messa è finita“beginnt, ist für den Priester zugleich das Eintauchen in die vergessene Welt seiner Jugend, die Rückkehr ins Elternhaus und das Wiedersehen mit der Familie, den alten Freunden. Aber etwas hat sich verändert, hat Risse bekommen. Der Vater verlässt seine Frau für eine andere, die Schwester will das Kind, das sie erwartet, nicht haben, die Freunde von früher sind jetzt seltsame Eigenbrötler oder langweilige, biedere Familienväter. Und in die Kirche verirrt sich so gut wie keiner. Zu allem Überfluss fehlt dem jungen Priester das Verständnis eines Menschenfischers. „Niemand ist so ungeduldig“, sagt Charles Péguy, „wie die Kinder und die Heiligen“. Von beiden hat Don Giulio ein Stück abbekommen. Manchmal überfällt den Gottesmann selbstgerechte Wut, dann dreht er den Leuten den Fernseher ab, beschimpft die Frau eines Freundes für das miese Essen, das sie ihm auftischt, verweigert einem Gläubigen die Absolution, weil ihn die ewigen Sexgeschichten im Beichtstuhl nerven, und beim Fußballspiel mit den jungen Burschen lässt er auch nicht immer die Gnade Gottes walten. Dann wieder überkommt Don Giulio in einer billigen Bar unverhofft eine grenzenlose Zuneigung zu allen Geschöpfen, und mit religiöser Inbrunst erklärt er den erstaunten Besuchern, „Ich liebe euch alle hier in dieser Bar.“Absurde Komik und tiefe Verzweiflung, kindliches Staunen und störrischer Widerspruch, Gottesfurcht und Menschenwut, alles liegt in dieser wunderbaren und berührenden Figur des Priesters, dargestellt vom Regisseur Nanni Moretti selbst, ganz nahe beieinander. Und in den schönsten Momenten steht er einfach da in seiner bodenlangen, schwarzen Soutane, unbeholfen und schlafwandlerisch und hebt die Arme zum Segen als wäre er Buster Keaton und nicht ein kleiner römischer Pfarrer. „La messa è finita – Die Messe ist aus“in der Originalfassung mit Untertitel im Metro Kinokulturhaus am 21. Juni, 20 Uhr und 22. Juni 18 Uhr
(*1953) Autor, Darsteller, Regisseur, manchmal auch Cutter: Dieser Künstler ist Autorenfilmer reinsten Wassers. Immer wieder Thema ist – die Kirche. „Die Messe ist aus – La messa è finita“(1985) Drehbuch:
NANNI MORETTI
N. MORETTI, SANDRO PETRAGLIA N. MORETTI, FERRUCCIO DE CESERA, MARCO MESSERI, ENRICA MARIA MODUGNO 94 MIN, FARBE, OMU, 35MM
Darsteller: