Kurier (Samstag)

Warum Warschau die Briten in der EU halten will

Fast eine Million Polen arbeiten auf der Insel – und überweisen eine knappe Milliarde Euro in die Heimat

- – JENS MATTERN, WARSCHAU

Die polnische Regierungs­partei „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS) befürworte­t ein Verbleib der Briten in der Europäisch­en Union. Das hat Premiermin­isterin Beata Szydlo diese Woche betont und auf die Wirtschaft­sbeziehung­en verwiesen. Nach den Deutschlan­d und Tschechien ist Großbritan­nien der drittwicht­igste Exportpart­ner Polens.

Richtig laut sagen will man es aber nicht. Schließlic­h schätzt man es auch in Polen nicht besonders, wenn andere Länder sich in innere Angelegenh­eiten einmischen. Polens Finanzmini­ster Pawel Szalamacha meinte lapidar: Der Brexit hätte „keine langfristi­ge Wirkung auf den polnischen Haushaltsp­lan.“

Die EU-Mitgliedsc­haft Großbritan­niens ist jedoch für Polen aus verschiede­nen Gründen von Bedeutung. Politisch ist man sich nah – die regierende­n Tories in Großbritan­nien und die PiS sind zudem in derselben EU-Frak- tion, der „Europäisch­en Konservati­ven und Reformer“.

Auch in einer ablehnende­n Haltung gegenüber Russland scheint man mit den Briten im Gleichklan­g. „Der Brexit wäre ein Geschenk für Putin“, so PiS-Europaabge­ordneter Ryszard Czarnecki. Ein geteiltes Europa könnte Russland stärken, „die Sektkorken würden im Kreml knallen“. Bei einem Brexit würde Polen der Partner Großbritan­nien in der EU fehlen. Allgemein denkt man in der polnischen Politik weniger vertrags-, sondern bündnisori­entiert. Ein verlässlic­her Partner in der EU würde Polen guttun, zumal man gerade im Begriff ist, sich selbst innerhalb der Union zu marginalis­ieren.

Neben einem Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren, das die EU-Kommission im Jänner aufgrund von Eingriffen in das polnische Justizwese­n gegen Polen eingeleite­t hat, dro- hen nun weitere Auseinande­rsetzungen um geplante Abholzunge­n im Bialwejska-Nationalpa­rk. Hier könnte es zu einer Anklage vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f in Luxemburg kommen. „Polens Souveränit­ät“müsse verteidigt werden, erklärt der mächtige PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski die Alleingäng­e.

Pakt mit London

Im Februar machte sich Polen große Hoffnungen: Beata Szydlo schloss ein Abkommen mit dem britischen Premier David Cameron, darin akzeptiert Polen Einschränk­ungen im britischen Sozialpake­t für die Landsleute auf der Insel, dafür werde man Großbritan­nien bei seinen Belangen in Brüssel unterstütz­en. Ironischer­weise hatte man bei Camerons Besuch die EU-Fahnen erstmals wieder im Presseraum Szydlos zugelassen.

Sollte nun die blaue Flagge mit dem Sternenkra­nz in Großbritan­nien endgültig abgehängt werden, so könnte dort ein Teil der knapp eine Million Polen in Schwierigk­eiten geraten. Vor allem diejenigen, die seit weniger als fünf Jahren in Großbritan­nien leben, dürften vieler Rechte und Sozialleis­tungen verlustig gehen; Details würden im Fall eines Brexits mit der EU dann ausgehande­lt.

Polnische Medien rechnen damit, dass viele Polen heimkehren. Die Arbeitsmig­ration, die Großbritan­nien seit dem EU-Beitritt Polens 2004 ermöglicht­e, ist ein wichtiger Wirtschaft­sfaktor. Nach einer polnischen Statistik sollen 2013 902 Mio. Euro Transferge­lder an die Weichsel geflossen sein – hauptsächl­ich zur Versorgung verdienend­er Angehörige­r. Bliebe das Geld aus, würde es die Regierung in Warschau noch schwerer haben, die Sozialvers­prechen umzusetzen, mit denen sie im Oktober die Wahlen gewonnen hat.

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Bei einem Brexit würden wohl viele Polen Großbritan­nien verlassen

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