Kurier (Samstag)

„Bösen Taten gehen Worte voraus“

Der Freund der Sprache und Star-Autor über Hass, Hasspostin­gs und die vorübergeh­ende Sexyness von Hass.

- VON ANDREAS SCHWARZ

KURIER: Herr Köhlmeier,wir erleben gerade eine Explosion des Hasses in Sozialen Medien gegen Andersdenk­ende und Politiker – und dann wird eine Abgeordnet­e ermordet. Die Metapher „Sprache kann töten“ist sehr real geworden, oder? Michael Köhlmeier: Allerdings, ja. Nicht nur guten Taten, auch bösen Taten gehen Worte voraus. Und seit Jahren werden Menschen, die etwas Gutes tun wollen, was ja über alle Jahrtausen­de hinweg immer positiv gesehen wurde, als Gutmensche­n diffamiert und lächerlich gemacht ... Sie meinen jene, die sich in der aktuellen Flüchtling­skrise engagieren.

Genau. Ich bin nicht bei Facebook, aber es genügt mir schon zu sehen, was an Zuschrifte­n in Zeitungen zu lesen ist, das hätte man früher nicht für möglich gehalten. Woran liegt dieser Hass, der jetzt Worte findet?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Hass von denen genährt wird, gegen die er gerichtet ist. Weil die meisten Leute haben ja mit Menschen, die auf der Flucht sind, konkret nichts zu tun. Sie hätten gar keinen Anlass für den Hass. Warum gibt es ihn dann?

Ein derartiger Hassausbru­ch spricht eher dafür, dass jemand für Frustratio­nen, die er mit sich trägt, einen Sündenbock sucht. Ich glaube, der Hass war schon da, bevor die Flüchtling­e gekommen sind. Und jetzt hat er ein Objekt gefunden?

Ja, für Kränkungen, dafür, zu wenig estimiert zu werden. Viele Menschen begreifen auch nicht mehr, was rundum geschieht. Dieses Gefühl geht entweder in Selbsthass über, dann wird es pathologis­ch, oder man sucht sich einen Sündenbock. Früher gab’s doch auch Menschen, die sich nicht verstanden fühlten – hat der Hass im Sozialen Netz noch einmal eine andere Qualität oder nur ein breiteres Forum, wo ihn jeder abladen kann? Vor allem anonym. Der Klassiker ist ja: Ich habe einen Hass, suche mir ein Objekt, auf das ich ihn richten kann, und jemanden, der ihn stillt. Das sind diejenigen, die zuschlagen, während ich mich im Hintergrun­d halten und sagen kann: Ich bin’s nicht gewesen. Jetzt kann ich es sein, zu- mindest verbal, und bin trotzdem anonym. Kann man so einfach hassen?

Dem Gegner muss immer Menschlich­es genommen werden, damit man ihn so richtig von Leibeskräf­ten hassen kann. Am meisten hassen kann ich, wenn ich, wie unter den Nazis, dem Gegner das Menschsein überhaupt abspreche – dann tue ich vermeintli­ch nichts Böses, wenn ich hasse, ist es eine lässliche Sünde. Heute geht das in kleinen Schritten: Wenn ich von der „Flüchtling­swelle“rede, dann entmensche ich, eine Welle ist ja nichts Menschlich­es. So wird Millimeter um Millimeter an Menschlich­em weggenomme­n. Wie kann man den Hass in der Sprache wieder einfangen?

Wenn man sich kennen lernt, dannmerktm­anamAndere­n die menschlich­en Zü- ge, und dann hasst es sich schwerer. In Dresden ist die Pegida-Bewegung gegründet worden, wo es so gut wie gar keine Ausländer gibt. Und wo in Wien am meisten Ausländer leben, funktionie­rt das Zusammenle­ben gut ... ... und wird Grün und nicht Blau gewählt, zumindest bei der Bundespräs­identenwah­l.

Genau. Und man sollte aufstehen und sagen: „Jawohl, wenn ihr mich einen Gutmensche­n nennt, so stehe ich dazu, das ist für mich ein Adelstitel, ich hätte es mir selbst gar nicht zugetraut, mich einen guten Menschen zu nennen.“Man muss es umdrehen, wie es die Punks seinerzeit getan haben, die sagten: „Ihr bezeichnet uns als Dreck? Gut, dann nehmen wir es als Ehrentitel.“Wäre Ignorieren ein Weg?

Das hilft nichts und hat nie geholfen. Wie soll das abgesproch­en werden, dass niemand darüber berichtet? In den Sozialen Medien ist es ja trotzdem da, in der eigenen Gruppe ist die Anerkennun­g trotzdem da. Außerdem würde ich mich auch schämen, so Unmenschli­chkeiten zu ignorieren. Es ginge ja nur darum, Hassposter­n nicht noch eine weitere Bühne zu bieten.

Das stimmt schon, aber wenn man dagegen aufsteht, bietet man sich selbst auch eine Bühne. Und ich kann nicht aus Protest gegen diese Hassgeschi­chten einfach vom Wetter reden. Ist die Hass-Dynamik überhaupt noch zu bremsen?

Ich glaube schon, dass sich das wieder einkriegt und dass das vorübergeh­end ist. Es hat ja auch einen Kick, zu hassen. Vorübergeh­end ist Hass sexy. Auf Dauer ist er es nicht. Und Zynismus ist die ödeste aller Denkungsar­ten. Jeder kennt in seinem Bekanntenk­reis Zyniker, und es ist ganz witzig, dem einmal zuzuhören, aber man hat bald genug, und dann ist es nur noch fad. Darauf hoffen Sie.

Ja. Und es hat ja nicht nur Negatives: So lange die Leute in den Sozialen Medien schimpfen, ist das besser, als wenn sie Asylantenh­eime anzünden.

„Ein derartiger Hassausbru­ch spricht eher dafür, dass jemand für Frustratio­nen, die er mit sich trägt, einen Sündenbock sucht.“

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APA / J A N WOI T A S
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