Kurier (Samstag)

Wer führt Völker und Menschen zueinander?

- HELMUT BRANDSTÄTT­ER

Lustig kann er ja sein, der Boris Johnson, dessen Aussagen oft so wirr sind wie sein blonder Haarschopf. Leider zeigte der Ex-Bürgermeis­ter von London erst am Tag nach der Abstimmung sein wahres Gesicht. Nein, es gebe jetzt „keinen Grund zur Hast“bei den Verhandlun­gen zum Austritt seines Landes aus der EU. Und: „Wir sind im Herzen Europas.“Wie bitte? Derselbe Politiker, der mit absurden HitlerVerg­leichen und anderen Lügen sein Volk aus der Europäisch­en Gemeinscha­ft geschubst hat, verspürt keinen Spaß mehr an seinem Spielzeug. Jetzt kommt harte Arbeit auf Briten und Brüssel zu, jetzt müssen die Bedingunge­n geklärt werden, unter denen die Insel weiter mit der EU sinnvoll Handel treiben kann. Das muss schnell gehen, weil die Unsicherhe­it Investitio­nen blockiert und der Wirtschaft auf beiden Seiten des Kanals schadet. Johnson und die Seinen haben keine Vorstellun­g, wie das aussehen könnte, sie haben ihren Spaß gehabt. Die reichen Boys der Elite Unis, die so gerne auf das „Establishm­ent “losgehen, werden nicht büßen, sie haben doch sicher ihre Pounds rechtzeiti­g umgetausch­t.

Aber an der akuten Krise sind die blinden und tauben Politiker in den EU-Staatskanz­leien genauso schuld wie die verantwort­ungslosen Populisten, die ja nie so getan haben, als hätten sie Lösungen für die vielen Probleme Europas. Aber die ehemals etablierte­n Parteien, mit denen Europa nach dem Krieg wieder auferstand, haben die Veränderun­gen einfach nicht verstehen wollen. Gestern haben in den sozialen Medien viele jüngere Briten darauf hingewiese­n, dass sie ja in der EU bleiben wollten, während die Älteren ihnen mit dem Brexit die Zukunft verbauen würden. Die Zahlen belegen , dass bis zu den 50-Jährigen der Wunsch nach Verbleib groß war, die Älteren aber die Insellösun­g gewählt haben. Tatsache ist, dass die um 1960 geborenen Europäer die einzige Generation der menschlich­en Geschichte bildet, die ohne Angst vor Krieg wachsenden Wohlstand genießen konnte. Jobs waren sicher, Wohnungen billig und die Pension erschien noch sicher. Dieser Zustand ist nur durch Reformen haltbar, zu denen die Politik zu feig ist.

Aus Groß- wird Kleinbrita­nnien

Junge Briten verstehen, dass Abschottun­g und Einsamkeit kein Programm für die Zukunft sind. Die Schotten wollen deshalb schnell von Großbritan­nien und in neuer Freiheit zurück in die EU. Wer gestern noch laut Freiheit gerufen hat, wird den Schotten ihre Freiheit kaum verbieten können. Was die Iren machen, werden wir sehen, hoffen wir auf den Bestand des jungen Friedens .

Wie einfach es ist, ein Land zu spalten und Leute gegeneinan­der aufzubring­en, vielleicht sogar Großbritan­nien zu zerstören,das haben wir gesehen. Wer aber führt Menschen wieder zusammen, erklärt, dass Demokratie auch den Ausgleich von Interessen verlangt, sogar Kompromiss­e? Die Populisten wollen das nicht, es pass t nicht zu ihnen. Und die Etablierte­n haben bewiesen, dass sie es nicht können. Bis jetzt jedenfalls.

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Die Briten sind ohne Plan aus der EU geflüchtet. Es fehlen Politiker, die für die Zukunft ihres Landes arbeiten.

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