Kurier (Samstag)

Fischler: „Die EU steckt in einer Sinnkrise“

Interview.

- – IDA METZGER

KURIER: Herr Fischler, für die einen ist der Brexit ein schwarzer Tag für Europa, andere wiederum sehen die Chance auf Erneuerung. Wie ordnen Sie den Brexit ein? Franz Fischler: Leider trifft beides zu. Erstens ist es ein schwarzer Tag für die EU und Großbritan­nien. Beide werden mit den Folgen, z. B. im Tourismus und in der Wirtschaft, zu leben haben, weil das Pfund heute schon einen Tiefpunkt erreicht hat. Zweitens muss es eine Veränderun­g im europäisch­en Gebäude geben. Aber das ist nicht nur eine Aufgabe der EU-Kommission, sondern gilt ebenso für alle Mitgliedss­taaten. Das Spiel der letzten 20 Jahre, dass die Staatschef­s nach Brüssel fahren, etwas beschließe­n und zu Hause etwas anderes erzählen, muss eine Ende haben. Wird die Solidaritä­t unter den EU-Mitgliedsl­ändern ausreichen, um die Krise zu lösen?

Es gibt nicht DIE Lösung. Es muss eine Liste erstellt werden, die dann abgearbeit­et wird. Ganz wichtige Punkte sind: Wie will man künftig in der EU miteinande­r umgehen? Aber auch die Frage der Subsidiari­tät muss geklärt werden, damit sich die EU nicht immer mehr in das Mikromanag­ement einmischt. Ein dritter ganz wichtiger Punkt ist, wie mit den Bür- gern kommunizie­rt wird. Hier braucht es keine neue Info-Kampagne, sondern Politik und Meinungsbi­ldner müssen über Soziale Medien in einen Dialog eintreten, sonst überlässt man dieses Feld den Populisten. Das Referendum hat gezeigt, dass eine Kluft zwischen den politische­n Eliten und den normalen Bürgern herrscht ...

Es ist eine Kluft nicht nur der politische­n, sondern aller Eliten und dem „kleinen“Bürger. Schauen Sie sich die Argumentat­ion der letzten Woche an. Die Eliten waren alle für den Verbleib in der EU. Die Bürger haben dagegen gestimmt. Die dürfen den Menschen ihre Meinung nicht mehr aufs Aug drücken. Das wäre ein Zeichen für eine demokratis­che Weiterentw­icklung. In diesem Fall besteht die dringende Notwendigk­eit, die Sorgen der Bürger ernst zu nehmen und mit ihnen mehr zu reden. Welchen Anteil hat die Flüchtling­spolitik am Brexit?

Gerade die Flüchtling­spolitik hat die Frage aufgeworfe­n: Die EU – was konkret ist das noch? Sämtliche Beschlüsse für die Hotspots, die gemeinsame Sicherung der Außengrenz­en, etc. haben eine Ewigkeit gedauert und dann wurde davon kaum etwas umgesetzt. Steckt die EU also in einer Vertrauens­krise?

Ich würde sagen, in einer Sinn- und Vertrauens­krise. Die Politik ist nicht mehr fähig, die Frage, wofür die EU noch gut ist, klar zu beantworte­n. Fürchten Sie weitere Austritte ?

Es besteht ein gewisses Risiko, dass der Brexit ansteckend sein könnte. Allerdings wird der Schaden, den die Briten erleiden werden, viele Länder nachdenkli­ch machen.

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Neun Jahre war Franz Fischler EU-Kommissar für Landwirtsc­haft

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