Kurier (Samstag)

Was nun? Inflation, Zölle, Rezession

Brexit bringt schweren Schaden für britische Wirtschaft, Eurozone ist weniger betroffen Brexit-Schock.

- VON IRMGARD KISCHKO

Freitagmor­gen herrschte Stille in den Londoner City-Bussen. Den Menschen, die hier zur Arbeit ins Finanzzent­rum fuhren, steckte der Schock über den Brexit frisch in den Knochen. Denn gerade sie, die auf dem pulsierend­en Finanzplat­z beschäftig­t sind, hatten nicht mit einem Brexit gerechnet. Jetzt bangensie um ihre Jobs. Denn das Finanzzent­rum lebt von freien Märkten, eine Abspaltung ist katastroph­al für sie.

„Der Brexit ist schlimm für ganz Europa. Wirtschaft­lich aber werden ihn die Briten am meisten spüren“, ist der Österreich­er Fritz Schweiger überzeugt. Sein Unternehme­n Q Advisers Group hat Büros in London und Wien. Rund 100 Milliarden Euro seien an der Londoner Börse binnen weniger Stunden nach der Brexit-Entscheidu­ng vernichtet worden, „ein Vielfaches dessen, was die Briten an Nettobeitr­ag an die EU zahlen“, betont Schweiger. Der Kursverfal­l des Pfund werde Importe verteuern und Inflation bringen, das Wirtschaft­swachstum werde sinken.

Die Ökonomen der deutschen Fondsgesel­lschaft Union Investment haben ihre Wachstumsp­rognose für Großbritan­nien umgehend von 2,3 auf 1,6 Prozent gekürzt. Ulrich Kater, Chefvolksw­irt der deutschen Dekabank, rechnet gar mir einer Rezession. Für die Eurozone fallen die Brexit-Effekte weniger ins Gewicht, glaubt er. Auch die heimischen Wirtschaft­sforscher sehen keinen Grund, ihre Wachstumsp­rognose für Österreich nun zu kürzen.

Osten unter Druck

Etwas schlechter sieht es für Ostländer wie Polen aus. Der Zloty-Kurs ist am Freitag in der Spitze um vier Prozent gegenüber dem Euro gesunken. Die Erste Group hat ihre Wachstumsp­rognose für die gesamte Ostregion von 3,3 auf 2,5 bis drei Prozent gesenkt.

Für Unternehme­n und Banken aus EU-Ländern, die mit Großbritan­nien handeln oder dort Tochterfir­men betreiben, beginnt aber eine Zeit großer Unsicherhe­it. Immerhin müssen die Briten jetzt Jahre hindurch mit der EU verhandeln, um eine neue Beziehung festzulege­n. Thomas Obersteine­r, Anwalt bei BakerMcKen­zie mitten in London, hat die wichtigste­n Auswirkung­en analysiert: – Ausstieg aus Verträgen Für Unternehme­n, die mit britischen Firmen z.B. einen Liefervert­rag abgeschlos­sen haben, stellt sich die Frage, ob sie aus dem Vertrag aussteigen können. Werden in zwei Jahren Zölle eingeführt, verteuern sich die Lieferunge­n. – Wettbewerb ohne Regeln Heimische Firmen, die mit britischen Unternehme­n im Wett- Auf dem falschen Fuß erwischt: Anleger wie Großinvest­oren hatten nicht damit gerechnet, dass der Brexit Realität wird. Fast panisch wurden Aktien verkauft und sichere Häfen wie Gold angesteuer­t. Ein Überblick:

An vielen Börsen gab es die heftigsten Verluste seit der Krise 2008. Das Minus in London von 3,2 Prozent war dabei noch harmlos. Mailand, Madrid und Athen waren mit Verlusten von 11,8 bis 13,4 Prozent Spitzenrei­ter. Die Wallstreet in New York verlor 3,4 Prozent.

Finanzakti­en waren im freien Fall. UniCredit, Deutsche Bank und Commerzban­k sind nur Beispiele für Bankaktien, die bis zu einem Fünftel ihres Wertes verloren. Mögliche Rezession in Großbritan­nien, hohe Kosten für Übersiedlu­ngen von Geschäftsb­ereichen, höhere Kreditausf­älle – es ist völlig offen, wie sehr Großbanken leiden werden. Bei den heimischen Banktiteln Erste Group und RBI ging es „nur“um 12 bzw. 7,5 Prozent nach unten. bewerb stehen, können sich nicht mehr auf die EU-Wettbewerb­sregeln verlassen. Auch staatliche Beihilfen der Briten gingen Brüssel nichts mehr an. Britischer Protektion­ismus zum Schaden von EU-Unternehme­n wäre also möglich. – Britisches Recht Viele internatio­nale Verträge basieren auf britischem Recht. Darauf basierende Urteile gelten in der EU. Nach dem Brexit gilt das nicht mehr. Viele Anwälte würden jetzt nach Dublin abwandern. – Limited Companies Hunderte heimische Firmen haben solche Töchter in England gegründet. Nur ein Pfund kostet das und man kann in der gesamten EU tätig werden. Dies fällt nach dem Austritt weg.

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Freier Handel ade: Ohne EU-Mitgliedsc­haft drohen den Briten wieder Zölle auf ihre Warenliefe­rungen

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