„Die typisch österreichische Wurschtigkeit“
Höchstgericht.
Das Interesse an der bisher einmaligen Gerichtsverhandlung ist groß. Viele Bürger wollen den juristischen Umgang mit der Hofburgstichwahl-Anfechtung live verfolgen. So viele, dass die 50 Gäste-Plätze im Saal nicht reichen. Und so wird im Verfassungsgericht der Prozess, der im ersten Stock stattfindet, via Videoleinwand in einen Raum im 5. Stock übertragen. 150 Menschen – vom Schüler bis zum Rentner – verfolgen dort die Taktik von Richtern und Rechtsanwälten. Warum machen sie das?
Er habe den KURIER-Online-Ticker zur Causa gelesen, sagt Gerhard Schütt. Das habe ihn animiert, aus Niederösterreich nach Wien zu fahren. Erst recht, da er Brief-Wähler und Jurist sei. „Man sieht erst da, welche Arbeit die Bezirkswahlbehörden in kurzer Zeit zu leisten haben.“Den 14 Richtern attestiert Schütt „gute Verhandlungsführung“. Das tut auch Jurist Hannes Nistl aus dem Bezirk Wiener Neustadt. Ebenso gefällt ihm, „dass wahrheitsgemäß ausgesagt wird, obwohl Gesetzesverstöße zugegeben wer- den. Man könnte die Aussage ja verweigern.“
Josef Winter, Gesundheitsplaner im Dienste des Landes Salzburg, hat sich einen Tag freigenommen, um die Verhandlung zu begutachten. Für ihn haben Aussagen von Wahlbehördenvertretern „die typisch österreichische Wurschtigkeit“offenbart. Etliche Zeugen seien nervös. Was nachvollziehbar sei: „Vor einem großen Senat zu sitzen, erzeugt Druck.“Thomas Schmitt nimmt das ebenso wahr. Den Doktorratsstudenten hat fachliche Wissbegier- de in das Gericht getrieben. Und dort „scheint alles sehr korrekt abzulaufen“. Dass öffentlich verhandelt wird, finden alle gut – „weil die Glaubwürdigkeit der Behörden auf dem Prüfstand steht“, erläutert Nistl. Wie die Richter urteilen werden, wagt keiner zu prognostizieren. Was politisch geschehen sollte, ist für Maria Kaltenböck, eine pensionierte Beamtin, aber schon klar: „Wenn es immer mehr Briefwähler gibt, muss darauf reagiert werden. Das Gesetz sollte verfeinert werden.“
Und wer hat die besseren Chancen, wenn die HofburgStichwahl aufgehoben wird – und im Herbst erneut gewählt werden muss? „Da wäre jede Prognose unseriös“, sagt Filzmaier. Dazwischen lägen ja noch drei Monate Wahlkampf. In einem neuen Rennen um den ersten Platz könnte aus derzeitiger Sicht also der eine wie der andere Kandidat als Sieger hervorgehen. Ein Verlierer steht aber schon jetzt fest, sagt der PolitExperte: die Beamten.
„Österreich war immer zu Recht stolz auf seine Beamtenschaft und auf ihre Genauigkeit – auch, wenn es manchmal etwas länger gedauert hat. Dass jetzt an die Öffentlichkeit gekommen ist, dass manche Rechtsbeugung betrieben haben, lässt eine ganze Berufsgruppe wie Verlierer aussehen“, urteilt Filzmaier.
Eines dürfte die Bürger aber beruhigen: Es gibt keinen Hinweis darauf, dass bei der Stimmauszählung manipuliert worden ist. Zumindest hat kein Zeuge – auch kein FPÖ-Beisitzer – beim Höchstgericht auch nur den Hauch eines Verdachts geäußert.