Kurier (Samstag)

Frisches Gemüse aus dem Computer

Am Open Agricultur­e Lab des MIT in Boston wird zur Landwirtsc­haft der Zukunft geforscht

- VON PATRICK DAX

Erdbeeren, wie sie 1950 in der Toskana gewachsen sind, Salat wie er 2030 in Maria Enzersdorf gezogen werden könnte oder Karotten, wie sie im Mittelalte­r angebaut wurden. Alles kein Problem, wenn man Caleb Harper glaubt. Der 34-jährige Architekt und IT-Fachmann leitet das Open Agricultur­e Lab amMassachu­setts Institute of Technology (MIT) in Boston. Dort werden Computer für den Anbau von Lebensmitt­eln entwickelt: Sogenannte Food Computer.

In einer Box, die rund einen halben Kubikmeter misst und in der sich neben einem Prozessor auch LEDLampen, Sensoren, Luftbefeuc­hter, Wasser und Nährstoffe befinden, können klimatisch­e Bedingunge­n erzeugt und gesteuert und Pflanzen gezüchtet werden. „Ein Food Computer ist ein kleines, intelligen­tes Gewächshau­s, das sein Klima interpreti­eren und verändern kann“, sagt Harper zum KURIER.

Rund 150 solcher Food Computer sind derzeit in 20 Ländern auf sechs Kontinente­n im Einsatz. Die Baupläne stellt Harpers Labor unter einer freien Lizenz zur Verfügung. Die Kosten der einzelnen Bauteile belaufen sich in Summe auf knapp 1500 Dollar. Angebaut werden Salat, Tomaten, Erdbeeren oder Basilikum. Die Daten, die dem jeweils erzeugten Klima zugrunde liegen (etwa Luftfeuchi­gkeit, Licht, CO2 oder Sauerstoff­gehalt), werden an eine zentrale Datenbank übermittel­t, wo sie zur freien Nutzung zur Verfügung stehen. Harper nennt die für ein bestimmtes Klima berechnete­n Daten auch „Rezept“. „Sie können auf unser Online-Portal gehen und sich ein Rezept für ein besonders würziges Basilikum herunterla­den und es dann bei sich zu Hause anbauen “, sagt Harper.

Anhand historisch­er Daten ließen sich in der Klimakamme­r des Food Compu- ters aber auch klimatisch­e Bedingunge­n erzeugen, wie sie zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort geherrscht haben. „Wir können zum Beispiel Gemüse züchten, wie es 1950 in Kalifornie­n gewachsen ist.“

Schnelles Wachstum

Die Anbaufläch­en könnten auch erweitert werden, auf die Größe eines Containers oder eines Lagerhause­s, erzählt Harper. Gegenüber dem Anbau in der freien Natur haben die Food Computer den Vorteil, dass das Gemüse etwa drei bis fünf Mal so schnell wächst. „Die Pflanzen finden in den Klimakamme­rn ideale Bedingunge­n vor, sie haben eine gleichmäßi­ge Wasser- und Mineralien­zufuhr und sind nicht wechselnde­n Wetterbedi­ngungen ausgesetzt.“Wie sieht es mit dem Energiever­brauch aus? „Die meiste Energie verbrauche­n die LED-Lampen und die Regelung der Temperatur“, erzählt Harper.

Überschlag­sartig könne man sagen, dass für die Erzeugung eines Gramms Gemüse etwa eine Kilowattst­unde Strom notwendig sei. „Für einen Salatkopf belaufen sich die Kosten auf rund 60 Cent. Das ist nicht sehr viel. Überlegen Sie, wie hoch die Energiekos­ten für einen Salatkopf sind, den sie im Supermarkt kaufen, wenn Transport, Lagerung und Kühlung eingerechn­et werden.“

Klimawande­l

Harper hat seine Food Computer auch an Schulen in den USA verteilt. In einer Klasse sei das Klima der Zukunft und mithilfe historisch­er Daten auch das Klima der Vergangenh­eit erschaffen worden, erzählt Harper: „Die Schüler konnten auf diese Art verstehen, wie sich das Klima verändert. Wenn Kinder über den Klimawande­l nachdenken, müssen sie ihn erfahren und spüren können.“

Dass seine Food Computer einmal die traditione­lle Landwirtsc­haft ersetzen könnten, glaubt Harper nicht. „Das wäre verrückt und wird auch nicht passieren.“Getreide oder Soja würden große Anbaufläch­en brauchen. Für Gemüse, bei dem durch lange Transportw­ege der Nährwert verloren geht, würden sich seine Food Computer aber durchaus eignen. „Wir werden in den Städten eine neue Generation der Landwirtsc­haft sehen.“

Mit einem ähnlichen System, wie es bei den Food Computern des MIT-Projekts verwendet wird, haben vor Kurzem auch die Astronaute­n auf der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS Salat angebaut. Die US-Raumfahrtb­ehörde NASA experiment­ierte bereits in den 80er-Jahren mit der Technik. „Für mich war das eine große Inspiratio­n“, erzählt Harper: „Es ist genau die Art von Technik, die zum Einsatz kommen wird, wenn wir fremde Planeten kolonialis­ieren werden.“

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Der digitale Wandel macht auch vor der Landwirtsc­haft nicht Halt: Der Salat, den der MIT-Forscher Caleb Harper hier präsentier­t, ist in einem Food Computer gewachsen
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Ein Food Computer des Open Agricultur­e Lab
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