Frisches Gemüse aus dem Computer
Am Open Agriculture Lab des MIT in Boston wird zur Landwirtschaft der Zukunft geforscht
Erdbeeren, wie sie 1950 in der Toskana gewachsen sind, Salat wie er 2030 in Maria Enzersdorf gezogen werden könnte oder Karotten, wie sie im Mittelalter angebaut wurden. Alles kein Problem, wenn man Caleb Harper glaubt. Der 34-jährige Architekt und IT-Fachmann leitet das Open Agriculture Lab amMassachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. Dort werden Computer für den Anbau von Lebensmitteln entwickelt: Sogenannte Food Computer.
In einer Box, die rund einen halben Kubikmeter misst und in der sich neben einem Prozessor auch LEDLampen, Sensoren, Luftbefeuchter, Wasser und Nährstoffe befinden, können klimatische Bedingungen erzeugt und gesteuert und Pflanzen gezüchtet werden. „Ein Food Computer ist ein kleines, intelligentes Gewächshaus, das sein Klima interpretieren und verändern kann“, sagt Harper zum KURIER.
Rund 150 solcher Food Computer sind derzeit in 20 Ländern auf sechs Kontinenten im Einsatz. Die Baupläne stellt Harpers Labor unter einer freien Lizenz zur Verfügung. Die Kosten der einzelnen Bauteile belaufen sich in Summe auf knapp 1500 Dollar. Angebaut werden Salat, Tomaten, Erdbeeren oder Basilikum. Die Daten, die dem jeweils erzeugten Klima zugrunde liegen (etwa Luftfeuchigkeit, Licht, CO2 oder Sauerstoffgehalt), werden an eine zentrale Datenbank übermittelt, wo sie zur freien Nutzung zur Verfügung stehen. Harper nennt die für ein bestimmtes Klima berechneten Daten auch „Rezept“. „Sie können auf unser Online-Portal gehen und sich ein Rezept für ein besonders würziges Basilikum herunterladen und es dann bei sich zu Hause anbauen “, sagt Harper.
Anhand historischer Daten ließen sich in der Klimakammer des Food Compu- ters aber auch klimatische Bedingungen erzeugen, wie sie zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort geherrscht haben. „Wir können zum Beispiel Gemüse züchten, wie es 1950 in Kalifornien gewachsen ist.“
Schnelles Wachstum
Die Anbauflächen könnten auch erweitert werden, auf die Größe eines Containers oder eines Lagerhauses, erzählt Harper. Gegenüber dem Anbau in der freien Natur haben die Food Computer den Vorteil, dass das Gemüse etwa drei bis fünf Mal so schnell wächst. „Die Pflanzen finden in den Klimakammern ideale Bedingungen vor, sie haben eine gleichmäßige Wasser- und Mineralienzufuhr und sind nicht wechselnden Wetterbedingungen ausgesetzt.“Wie sieht es mit dem Energieverbrauch aus? „Die meiste Energie verbrauchen die LED-Lampen und die Regelung der Temperatur“, erzählt Harper.
Überschlagsartig könne man sagen, dass für die Erzeugung eines Gramms Gemüse etwa eine Kilowattstunde Strom notwendig sei. „Für einen Salatkopf belaufen sich die Kosten auf rund 60 Cent. Das ist nicht sehr viel. Überlegen Sie, wie hoch die Energiekosten für einen Salatkopf sind, den sie im Supermarkt kaufen, wenn Transport, Lagerung und Kühlung eingerechnet werden.“
Klimawandel
Harper hat seine Food Computer auch an Schulen in den USA verteilt. In einer Klasse sei das Klima der Zukunft und mithilfe historischer Daten auch das Klima der Vergangenheit erschaffen worden, erzählt Harper: „Die Schüler konnten auf diese Art verstehen, wie sich das Klima verändert. Wenn Kinder über den Klimawandel nachdenken, müssen sie ihn erfahren und spüren können.“
Dass seine Food Computer einmal die traditionelle Landwirtschaft ersetzen könnten, glaubt Harper nicht. „Das wäre verrückt und wird auch nicht passieren.“Getreide oder Soja würden große Anbauflächen brauchen. Für Gemüse, bei dem durch lange Transportwege der Nährwert verloren geht, würden sich seine Food Computer aber durchaus eignen. „Wir werden in den Städten eine neue Generation der Landwirtschaft sehen.“
Mit einem ähnlichen System, wie es bei den Food Computern des MIT-Projekts verwendet wird, haben vor Kurzem auch die Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS Salat angebaut. Die US-Raumfahrtbehörde NASA experimentierte bereits in den 80er-Jahren mit der Technik. „Für mich war das eine große Inspiration“, erzählt Harper: „Es ist genau die Art von Technik, die zum Einsatz kommen wird, wenn wir fremde Planeten kolonialisieren werden.“