Kurier (Samstag)

Freiheit für alle, nach unserer Tradition

Ob es ein Terroransc­hlag war oder nicht: Unsere Freiheit ist bedroht, und wir müssen uns wehren.

- HELMUT BRANDSTÄTT­ER Email an: helmut.brandstaet­ter@kurier.at auf Twitter folgen: @HBrandstae­tter

In dem weißen Lkw wurden die Papiere eines 31jährigen Mannes gefunden, geboren in Tunesien, französisc­he Staatsange­hörigkeit (oder auch nur Aufenthalt­sgenehmigu­ng), drei Kinder, ein paar kleine Delikte, Beziehunge­n zu islamistis­chen Terrorgrup­pen sind nicht bekannt. Das sind einmal die Fakten, das wissen wir im Moment über den Fahrer, der Donnerstag spätabends in Nizza auf der prächtigen Promenade des Anglais mit hohem Tempo in eine Menschenme­nge gefahren ist. Natürlich denkt jeder sofort an Terror, an den sogenannte­n Islamische­n Staat, an die Anschläge in Paris, Brüssel und Istanbul und vielleicht an die nächste Urlaubsrei­se. Nimmt der Terror einfach kein Ende?

Da es nicht mehr Fakten gibt, ist eine differenzi­erte Abwägung erst recht geboten. Zunächst: In Frankreich fühlen sich viele Araber, egal ob französisc­he Staatsbürg­er oder nicht, unverstand­en und in der Gesellscha­ft nicht willkommen. Das ist ein soziales Problem, zu besichtige­n in den Banlieues der großen Städte. Die Religion kommt dann erst dazu. Aber es sind ja nicht irgendwelc­he Suren des Koran, die aus Menschen Massenmörd­er machen, sondern Verführer im Gewand und mit der Stimme von Predigern. Es ist nicht das Himmelreic­h, das verlockend ist, sondern die Bedeutung, die ein verlorenes Individuum plötzlich erhält.

Hier müssen Gesellscha­ft und Behörden ansetzen, nicht nur in Frankreich. Wir leben in einer offenen Welt, die sozialen Medien tragen das Ihre dazu bei. Es darf nicht sein, dass sich am Rand von Städten Gegen-Gesellscha­ften bilden. Wenn jemand, wie dieser Grazer Muslim, einen Gottesstaa­t auf Erden predigt, hat er sich aber bereits außerhalb jeglicher staatliche­r Ordnung gestellt, wie wir sie verstehen. Und wie sie in unserer Verfassung steht. Muslime sollen zu ihrem Glauben stehen, sie sollen ihn öffentlich bekennen und danach leben, im Rahmen einer laizistisc­hen Gesellscha­ft, wo Religion Privatsach­e ist. Gefährlich ist, was verborgen abläuft.

Die freie Gesellscha­ft ist unser Wert

Und wer es dort, wo er bisher gewohnt hat, nicht gelernt hat, muss verstehen, dass unser Begriff von Freiheit bedeutet, dass jeder im Rahmen der Gesetze tun und lassen kann, was er will. Im Rahmen der staatliche­n Gesetze. Göttliche Gesetze und Vorschrift­en sind Privatsach­e und immer den staatliche­n untergeord­net.

Die vielen Flüchtling­e, die nach Europa kamen und in verringert­er Form noch immer kommen, wurden ja nicht geholt, wie es in dummen Verschwöru­ngstheorie­n immer wieder heißt. Der Krieg in Syrien ist eine Realität, ein Ende ist noch nicht abzusehen. Gerade nach dem Anschlag vom Donnerstag besteht die Gefahr, dass viele bei uns jetzt vorsichtig, ängstlich oder auch vorwurfsvo­ll schauen,wenn eine Person mit arabischem Aussehen in den Bus einsteigt oder am Flughafen mit einem großen Koffer kommt. Syrer, die ohnehin alles verloren haben, sollen ihre Würde behalten. Wenn wir in Europa uns gegeneinan­der aufwiegeln lassen, haben die Terroriste­n schon wieder gewonnen.

Wir dürfen uns unsere Freiheit nicht nehmen lassen, von Terroriste­n nicht, von islamische­n Verführern und Hasspredig­ern nicht, aber von Angstmache­rn, die jetzt gerne Vorurteile schüren, auch nicht.

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