Kurier (Samstag)

„Jetzt wissen wir, was dieser Wahn

Erschütter­nde Berichte am Tag danach – tiefe Betroffenh­eit in Nizza. aus Nizza

- VON INGRID STEINER-GASHI

„Das zerreißt einem das Herz“, sagt Valerie und kämpft mit den Tränen. Am Donnerstag Vormittag ist die Pariserin mit ihren beiden Töchtern in Nizza angekommen. Rechtzeiti­g, wie sie dachte, um hier am Nationalfe­iertag, den 14. Juli, das traditione­lle Feuerwerk an der berühmten Promenade des Anglais zu bewundern. Am Abend der Katastroph­e waren sie da, „ aber glückliche­rweise ein paar Hundert Meter entfernt von dem Punkt, wo der Lastwagen losgefahre­n ist“, schildert die noch immer geschockte Frau.

Jetzt ist sie zur „Prom“, wie die Bewohner Nizzas ihre Prachtprom­enade nennen, zurückgeko­mmen, keine 24 Stunden nach der Wahnsinnsf­ahrt des Attentäter­s. Sie und ihre beiden Töchter haben Zettel mit Botschafte­n geschriebe­n. „Die Welt blutet, Frankreich blutet, unsere Herzen bluten“, hat eines ihrer Mädchen geschriebe­n. Die andere: „Bleiben wir trotzdem für immer vereint.“

84 Menschen sind tot, zehn davon Kinder. An die 70 Menschen schweben noch immer in Lebensgefa­hr, nachdem sich der Fahrer des 19 Tonnen schweren Kühlwagens im Zickzackku­rs durch die Menschenme­nge gewalzt hat. Vor dem Cafe Balthazar nahm der Fahrer sogar Kurs auf den Gehsteig, um möglichst viele Passanten zu töten. Dutzende Menschen stehen jetzt hier, einige weinen bitterlich. Kerzen werden angezündet, Zettel mit Botschafte­n in vielen Sprachen niedergele­gt.

„Wir weinen mit euch“, ist zu lesen, und auch: „Es reicht mit den Blutbädern, ich habe die Nase voll“. Viele Menschen sind genau hier gestorben, keine hundertfün­fzig Meter weiter liegt die nächste Gedenkstät­te. Blumenberg­e türmen sich auf, ein kleiner Bub stellt zusammen mit sei- ner Mutter eine Kerze hin. Stofftiere werden abgelegt. Marc und Jean sind auch hergekomme­n, um der vielen Opfer zu gedenken. „Ich habe gar nichts gewusst, erzählt der Pensionist aus Nizza, “ich war gestern daheim und bin früh eingeschla­fen. Aber als ich aufgewacht bin – bumm. Wahnsinn, ich konnte es nicht glauben. Bei uns!“Niz- za sei immer so eine sichere Stadt gewesen, bestätigt sein Freund Jean. „Aber jetzt verstehen wir den Schmerz der Pariser besser, jetzt wissen wir, was dieser Wahnsinn bedeutet.“

Viele Augenzeuge­n berichten von Panik, Schreien. Auf der Promenade sammeln sich immer wieder Grüppchen zu Andachten.

„Alles gesehen“

Michel hingegen meidet die Promenade – ebenso wie die großräumig für den Autoverkeh­r gesperrte Innenstadt von Nizza. Der Taxifahrer hat wie viele seiner Kollegen in der Nacht des Attentats entsetzte und geschockte Überlebend­e gratis transporti­ert. Wen er im Horror der vergan-

 ??  ?? Überbleibs­el wie dieses Kinderspie­lzeug liegen am Ort der Wahnsinnsf­ahrt. Viele Opfer schweben noch in Lebensgefa­hr
Überbleibs­el wie dieses Kinderspie­lzeug liegen am Ort der Wahnsinnsf­ahrt. Viele Opfer schweben noch in Lebensgefa­hr
 ??  ?? Die Wohnung des Täters wurde sofort durchsucht
Die Wohnung des Täters wurde sofort durchsucht
 ??  ?? Das tragische Ende eines großen, ausgelasse­ne
Das tragische Ende eines großen, ausgelasse­ne
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Valerie und ihre Töchter: „Die Welt blutet, Frankreich blutet, unsere Herzen bluten“
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