Kurier (Samstag)

Armee erklärt Machtübern­ahme

Soldaten in den Straßen, Jets über den Städten – die Armee versucht in der Nacht auf Samstag den Putsch

- VON STEFAN SCHOCHER

Es waren durch und durch mysteriöse Stunden. Erst eine dünne Nachricht: Schüsse in Ankara nahe des Sitzes des Generalsta­bes und in der Umgebung des Präsidente­npalastes. Nach und nach tröpfelten dann dazugehöri­ge Meldungen ein: BosporusBr­ücken in Istanbul gesperrt. Helikopter und Kampfjets über Ankara. Auch in Istanbul soll es Überf lüge gegeben haben. Und dann eine noch staatstrag­ende Fernsehans­prache: Premiermin­ister Binali Yildirim spricht von einem „illegalen Versuch“einer Gruppe im Militär, die die Befehlsket­te durchbroch­en habe. Einen Putsch könne man das nicht nennen, eher einen Aufstand innerhalb der Armee.

Türkische TV-Sender zeigen da bereits Bilder von Panzern vor demAtatürk-Flughafen von Istanbul. Alle Flüge von dem Airport wurden gestrichen. Und nur wenige Minuten später verlautbar­t die türkische Armee: „Wir haben die Macht übernommen.“Einher geht das mit der Verhängung einer landesweit­en Ausgangssp­erre und des Kriegsrech­ts. Danach be- gannen die TV-Stationen Wetterberi­chte zu senden. Ohne Ende. Fast. Denn dann meldete sich Präsident Recep Tayyip Erdogan zu Wort. Und das kaum staatstrag­end: Mit einem Skype-Anruf beim Sender CNN Türk.

Auch er nimmt das Wort Putsch nicht in den Mund: „Ich rufe unser Volk auf, sich auf den Plätzen und am Flughafen zu versammeln. Sollen sie mit ihren Panzern und ihren Kanonen machen, was sie wollen.“Erdogan spricht von einem Aufstand eines kleinen Teils der Armee. Er selbst sei bereits auf dem Weg zurück nach Ankara. Die Verantwort­lichen würden vor Gericht einen hohen Preis zahlen.

Genau geplant

So klein aber dürfte der Teil in der Armee nicht sein, der da in der Nacht auf Samstag aufbegehrt­e. Nachrichte­nseite im Internet scheinen generalsta­bsmäßig blockiert worden zu sein. Zahlreiche türkische Medien waren nicht zu erreichen. Die Staats-Agentur Anadolu berichtete indes, Generalsta­bschef Hulusi Akar sei zusammen mit anderen als Geisel genommen worden. Das Gebäude des Gene- ralstabes sei aus der Luft beschossen und gestürmt worden. Soldaten aus zwei Bussen seien zudem beim StaatsSend­er TRT in Ankara einmarschi­ert. Diverse Sender sendeten für den Rest der Nacht Wetterberi­chte. TRT stellte seinen Betrieb ein. Die Redaktion soll laut Reuters später von einem Kampfhubsc­hrauber beschossen worden sein. Und in Ankara und Istanbul machten sich große Gruppen von Soldaten sichtbar – und errichtete­n Kontrollpo­sten. An einigen davon sollen auch Leute festgenomm­en worden sein. Später wurden die Brücken über den Bosporus komplett gesperrt.

In Ankara wurde zugleich die gesamte Polizei in denDienst gerufen. Bis spät in die Nacht waren in Ankara und Istanbul Schüsse zu hören. Was genau aber vor sich ging, war völlig unklar. Die konkreten Auswirkung­en der Aktion blieben zunächst auch schleierha­ft.

Seit dem Frühjahr kursieren Gerüchte, innerhalb der Armee formiere sich mehr und mehr Widerstand gegen Erdogan. Und immer wieder fiel dabei auch das Wort Putsch – passierten solche Machtübern­ahmen durch das Militär in der Geschichte des 20. Jahrhunder­ts in der Türkei doch in relativer Regelmäßig­keit.

Klar ist: Die Armee ist nicht gerade eine Hochburg an Freunden von Präsident Erdogan. Mit seiner erzkonserv­ativen Allmachtsp­olitik und zunehmende­n Sonnenköni­gs-Allüren hat er sich nicht nur im demokratis­ch gesinnten Lager Feinde gemacht, sondern auch bei Nationalis­ten. Aber auch die konservati­ve Sekte der Gülen-Bewegung war von Erdogan in der Vergangenh­eit immer wieder mit Putschvers­uchen durch die Armee in Verbindung gebracht worden.

Äußerst loyal zur Führung der regierende­n AK-Partei und damit auch zu Erdogan steht dagegen der gesamte Apparat des Innenminis­teriums – also die Polizei, die in Ankara eiligst geschlosse­n einberufen wurde.

Viele Gegner

Erdogans Syrien-Politik, aber auch sein Umgang mit dem Bürgerkrie­g in der Osttürkei zwischen Kurden und türkischen Kräften, hat einflussre­iche Gegner – vor allem auch in der Armee. Und wie- derholt war Kritik an Erdogan dahingehen­d laut geworden. Und das vor allem auch im nationalis­tischen Lager.

Die Armee ist Machtbasis dieses Lagers. Und dort sieht man vor allem Erdogans Umgang mit islamistis­chen Kräften in Syrien äußerst kritisch. Und was den Krieg im Osten des Landes angeht, so ist Erdogan vielen Nationalis­ten viel zu weich im Umgang mit kurdischen Autonomieb­estrebunge­n – auch, wenn die Zustände in diesem Landesteil einem offnenen Krieg gleichen. So hatten ArmeeKreis­e etwa immer wieder für einen großen Einmarsch in Nordsyrien plädiert, wo Kurden gerade derzeit mehr und mehr an Boden gewinnen und faktisch funktionie­rende Organe und Institutio­nen aufgebaut haben.

Die Brisanz der Lage wird durch die raschen Reaktion auf internatio­naler Ebene verdeutlic­ht. Die USA ebenso wie Russland äußerten sich besorgt. Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow sagte, „blutige Zusammenst­öße müssen vermieden und sämtliche Probleme ausschließ­lich verfassung­skonform gelöst werden.“USAußenmin­ister John Kerry, der derzeit in Moskau ist, reagierte ebenso schnell: Er hoffe auf Stabilität, Frieden und Kontinuitä­t in dem NATOStaat. Beide zeigten sich völlig überrascht von den Nachrichte­n. Das Außenminis­terium in Wien rief alle Österreich­er in der Türkei dazu auf, an einemsiche­ren Ort zubleiben und abzuwarten.

 ??  ?? Ein Soldat in voller Kampfmontu­r auf dem symbolträc­htigen Taksim-Platz in Istanbul – in der ganzen Stadt bezogen Soldaten Stellung. Erdogan sprach von einer kleinen Gruppe in der Armee
Ein Soldat in voller Kampfmontu­r auf dem symbolträc­htigen Taksim-Platz in Istanbul – in der ganzen Stadt bezogen Soldaten Stellung. Erdogan sprach von einer kleinen Gruppe in der Armee
 ??  ?? Soldaten besetzten die Bosporus-Brücken in Istanbul, errichtete­n Kontrollpo­sten – später wurden alle Brücken gesperrt und eine landesweit­e Ausgangssp­erre sowie das Kriegsrech­t verhängt
Soldaten besetzten die Bosporus-Brücken in Istanbul, errichtete­n Kontrollpo­sten – später wurden alle Brücken gesperrt und eine landesweit­e Ausgangssp­erre sowie das Kriegsrech­t verhängt
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 ??  ?? Erdogan rief das Volk auf, sich der Armee zu stellen
Erdogan rief das Volk auf, sich der Armee zu stellen
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Premier Binali Yildirim wollte nicht von Putsch sprechen

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