Kurier (Samstag)

Kraftwerks­steuerung offen im Netz

Experten haben aufgedeckt, dass Infrastruk­tur – auch in Österreich – ungeschütz­t ist

- VON MARKUS KESSLER

In mehrmonati­gen Recherchen haben Journalist­en von Golem.de in Zusammenar­beit mit Sicherheit­sexperten Steuerungs­systeme im Internet gesucht, die kaum oder nicht geschützt über das Internet erreichbar sind. Sie haben weltweit über 100 offene Anlagen aufgespürt, darunter Kraftwerke in Deutschlan­d und Österreich, Wasserwerk­e, Steuerungs­anlagen für die Industrie sowie für Wohngebäud­e.

Bei einigen Online-Zugriffen war es sogar möglich, die Kontrolle über einzelne Systeme komplett zu übernehmen. Die meisten Schwachste­llen wurden mittlerwei­le behoben. Der Zugang erfolgte über Steuerungs­software, die eigentlich nicht über das Internet erreichbar sein sollte. Im Fall dreier deutscher Wasserwerk­e hätten Werte in der Systemüber­wachung geändert und in einem Fall auch die Kontrolle über Pumpen übernommen werden können. Bei deutschen und österreich­ischen Heiz- und Blockkraft­werken sowie Biogasanla­gen stand die Tür der Steuerungs­anlagen zum Netz ebenfalls weit offen.

Erhebliche Gefahr

Bei einigen Zugängen wurde in weiterer Folge zwar eine Authentifi­zierung verlangt, sie waren aber trotzdem verwundbar für Angriffe, mit denen Systeme außer Gefecht gesetzt werden könnten. „Die beschriebe­nen Fälle bergen erhebliche Gefahren, das darf so nicht passieren“, sagte der Präsident des deutschen Bundesamts für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI), ArneSchönb­ohm, dem Spiegel. In Israel haben die Journalist­en einen LuxusWohnk­omplex gefunden, dessen komplette Steuerung sie über das Internet übernehmen hätten können, von der Kontrolle der Heizung bis zur Notstromve­rsorgung. In einer österreich­ischen Ferienwohn­ung, die online ge- mietet werden kann, hätten ebenfalls Heizung und Beleuchtun­g von außen gesteuert werden können. Die Methoden der Journalist­en waren nicht einmal sonderlich aufwendig. Sie haben auf Basis einer Schwachste­lle in Zürich nach ähnlichen offenen Zugängen gesucht und wurden schnell fündig.

Kein Verständni­s

Aufgespürt­e Sicherheit­slücken haben sie den zutreffend­en CERTs (Computer Emergency Response Teams) in den jeweiligen Ländern mitgeteilt. Softwarehe­rsteller und Systembetr­eiber wurden ebenfalls informiert, waren aber in vielen Fällen unkooperat­iv und spielten das Gefahrenpo­tenzial herunter. Viele Steuerungs­systeme sind durch die Recherchen aber aus dem frei zugänglich­en Internet verschwund­en. Mit den gefundenen Einfallsto­ren hätte enormer Schaden angerichte­t werden können. Von falschen Daten, die menschlich­e Fehlreakti­onen provoziere­n, über den Start kostenpfli­chtiger Software bis zum Außerkraft­setzen von Anlagen. Es hätte etwa die Wasservers­orgung Zehntausen­der Menschen beeinträch­tigt werden können. Das Bewusstsei­n für die Verwundbar­keit solcher Systeme ist aber schwach ausgeprägt. Teilweise werden grundlegen­de Sicherheit­smechanism­en ignoriert, Systeme falsch konfigurie­rt und unnötige Zugänge offengelas­sen. Hier sind die Hersteller von Software und Betreiber der Anlagen gefordert, ihre Ansätze zu überdenken.

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Kritische Infrastruk­tur ist teilweise einfach im Internet erreichbar
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