Vollständig, mit oder ohne Kind
Mit ihrem Aufschrei traf Jennifer Aniston bei vielen kinderlosen Frauen einen Nerv
Sogar als unbeteiligter Leser waren die ständigen Schwangerschaftsgerüchte um Hollywoodstar Jennifer Aniston zuletzt nur noch schwer zu ertragen. Sobald die 47-Jährige irgendwo mit einem kleinen (Bläh-)Bäuchlein abgelichtet wurde, überschlug sich die Klatschpresse mit Spekulationen über Babygeschlecht und Geburtstermin.
Jetzt platzte Aniston, die sich sonst nicht zu Privatem äußert, endgültig der Kragen: In einem viel beachteten Essay ( siehe unten), erschienen in der Huffington Post, wehrte sie sich gegen das medial transportierte Rollenbild, Frauen hätten auszusehen wie Unterwäschemodels und seien nur mit Mann und Kind(-ern) vollwertig. Der Wutbrief aus Hollywood wurde in den sozialen Netzen bejubelt, viele Frauen bedankten sich für die offenen Worte und bekundeten ihre Solidarität.
Erwartung
„Der Mythos, dass Frauen nichts Schöneres kennen, als Kinder zu haben und mit ihren Kindern zu sein, hält sich hartnäckig“, sagt die Psychologin Sandra Gerö. Die Erwartungshaltung in der Gesellschaft sei immer noch stark, die Gegenbewegung kaum vorhanden. „Die Frau wird als Hauptverantwortliche für die Erhaltung der Familie betrachtet. Bleibt sie kinderlos, wird dies als egoistisch und kaltherzig hingestellt.“
Das zeigte sich kürzlich am Beispiel der neuen britischen Premierministerin Theresa May: Ihre ehemalige Gegenkandidatin behauptete, eine bessere Regierungschefin zu werden, weil sie – im Gegensatz zur kinderlosen May – Mutter sei. „Nur wenige Frauen widerstehen diesem Druck und sagen öffentlich, dass die Reduzierung der Frau auf ihre Biologie eine Entwertung darstellt, die sie nicht hinnehmen wollen“, weiß Gerö.
Den Druck von außen kennt die 28-jährige Sarah K. nur zu gut. „Es begann vor ein, zwei Jahren“, erzählt sie. „Plötzlich wollte jeder, ob Kollegen, Verwandte oder Freunde, wissen, wann wir endlich ein Kind bekom- men.“Seit zehn Jahren lebt sie mit ihrem Freund zusammen – Nachwuchs? Vielleicht später, zuerst stehen Verwirklichung im Job und Reisen um die Welt auf dem Programm. „Die Erwartungshaltung ist groß. Ich will aber erst einmal meine Freiheit genießen. Wenn man das sagt, wird man schnell als Karrierefrau abgestempelt.“
Zahl steigt
Tatsächlich steigt auch hierzulande die Zahl der – gewollt oder ungewollt – Kinderlosen: 1971 lebten in Österreich 617.000 Frauen ohne Nachwuchs, im vergangenen Jahr war es eine knappe Million. Am höchs- ten ist der Anteil unter Akadele, inklusive mir, hatten eines mikerinnen und Städteringemeinsam: Wir waren konnen. „Das liegt daran, dass sie sterniert, wie oft wir uns es sich leisten können“, erläufür unseren Lebensentwurf tert Sandra Gerö. „Nur dann, rechtfertigen mussten – obwenn diese Wahlmöglichkeit wohl es sich um eine höchst gegeben ist, könnenwir erkenpersönliche Entscheidung nen, dass es eben handelt.“Früher keinen tief verangeriet die Komkerten, unbändimunikationsbegen Kinderraterin unter wunsch Druck, wenn sie gibt, der die mit dem Thema Frauen von Nakonfrontiert wurtur aus zur de. Heute steht Mütterlichsie zu ihrer Entkeit treibt, scheidung. „Man sondern muss den MenFrauen auch schen klarmaohne Kinder Sandra Gerö chen, wie absurd ein erfülltes Psychologin die Frage nach Leben haben.“dem KinderEine dieser Frauen ist wunsch ist. Ich frage einen Birgit Kofler (50). In ihMann ja auch nicht, wann er rem Buch „Kinderlos, na die letzte Prostatauntersuund?“porträtierte sie chung hatte.“2006 gewollt kinderAuch Psychologin Gerö lose Frauen. rät, bei der Baby-Frage nicht in „Sie aleinen Rechtfertigungsmodus zu verfallen. Besser ist, sich eine originelle Antwort à la „Wenn du mir von deiner Familienplanung erzählst, erzähl ich dir von meiner“zurechtzulegen. In diesen Tagen könnte man aber auch Folgendes erwidern: „Hast du den Brief von Jennifer Aniston gelesen?“
„Der Mythos, dass Frauen nichts Schöneres kennen als Kinder zu haben, hält sich hartnäckig.“