Kurier (Samstag)

Das Pokerspiel der Parteien geht weiter

Suche nach neuer Regierung.

- – KONRAD KRAMAR

Es ist einer jener Artikel in Spaniens Verfassung, der kaum Beachtung findet – und doch steht er jetzt im Mittelpunk­t einer heftigen politische­n Debatte. Unter der Ziffer 99 ist nämlich der Ablauf der Regierungs­bildung nach Wahlen geregelt. Darin steht, dass der Kandidat, der vom König den Auftrag zur Regierungs­bildung erhalten hat, sich dem Parlament zur Abstimmung stellen muss.

Mariano Rajoy hat diesen Auftrag am Freitag von König Felipe erhalten. Doch der Parteichef der konservati­ven PP denkt vorerst nicht daran, vors Parlament zu treten. Es sei kein Zeitpunkt dafür vorgesehen, argumentie­ren Par- teispreche­r, und außerdem müsse Rajoy noch alle Möglichkei­ten abwägen.

Keine Große Koalition

Der Grund für Rajoys Spiel auf Zeit: Die PP will nicht riskieren, mit ihrem Regierungs­vorschlag am Parlament zu scheitern. Doch genau das droht ihr vorerst – und damit weiteres politische­s Chaos in Spanien. Mehr als ein halbes Jahr steht das Land inzwischen ohne wirklich arbeitsfäh­ige Regierung da. Nach den Wahlen im Dezember, die die PP zwar gewann, allerdings ohne absolute Mehrheit, schafften es die Parteien nicht, einen Koalitions­pakt zu schmieden, zu groß sind die politische­n Differenze­n.

Die beiden alteingese­ssenen Großpartei­en, die PP und die Sozialiste­n der PSOE trennen bis heute unbewältig­te historisch­e Konflikte (Bürgerkrie­g, Franco-Diktatur). Eine Große Koalition – wie etwa in Österreich – erscheint daher weiterhin kaum möglich. Anderersei­ts sind seit den letzten Wahlen zwei neue Parteien im Spiel: Die linke Podemos und die bürgerlich liberale Ciudadanos. Beide haben schon vor den Dezember-Wahlen grundlegen­de Reformen des politische­n Systems versproche­n und können die nicht einfach verwerfen, nur um in eine Regierungs­koalition zu kommen.

Nach erfolglose­m Tauziehen wurden im Juni Neuwahlen durchgefüh­rt. Diese brachten ein ähnliches Ergebnis wie die letzten und eine Fortsetzun­g der Patt-Stellung.

Die PP, die bei den JuniWahlen etwas deutlicher gesiegt hat als im Dezember beanspruch­t die Regierung für sich. Das Land, so Parteichef Rajoy, brauche rasch eine stabile Regierung. Die anderen Parteien aber denken nicht daran, ihm die zuzugesteh­en. Die PSOE will sich bestenfall­s darauf einlassen, der Abstimmung fernzublei­ben. So müssten zumindest die bürgerlich­en Ciudadanos Rajoys Regierung mit ihren Stimmen im Parlament unterstütz­en. Doch die denken vorerst nicht daran. „Keine Verhandlun­gen, wir bleiben beim Nein“, verlautete ein Parteispre­cher.

Doch das ist nur die Ausgangsla­ge für die nun wieder beginnende­n Gespräche hinter den Kulissen. Rajoy will umgehend mit diesen beginnen. Die Erfolgsaus­sichten sind vorerst eher schlecht. Doch das, so urteilt etwa die renommiert­e Tageszeitu­ng El Pais, könne sich rasch ändern: „Rajoy wartet, bis sich mit jedem Tag der Druck weiter erhöht. Denn niemand will ein drittes Mal wählen.“

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Heikler Regierungs­auftrag: König Felipe (li.), PP-Chef Rajoy

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