Kurier (Samstag)

Der Hammer hätte niemals den Mund aufmachen dürfen

Tilman Rammstedt.

- VON PETER PISA – P.PISA

gefordert, seinem Bankberate­r, der soeben seine Bank überfallen hatte, aus der Patsche zu helfen. Denn die Polizei war schon sehr nahe, und einem berühmten ActionHeld­en fällt vielleicht etwas ein ...

Also, das war schon auch ein bissl kindisch mit dem Bankberate­r, aber genialerwe­ise fiel das nicht (nicht allen) auf.

In „Morgen mehr“misslingt dieses kunstvolle Täuschungs­manöver. Da kann der 41-Jährige noch so viele Einfälle aneinander­reihen. Alles wirkt angestreng­t.

Man sieht das Kindische und verliert deshalb schön langsam die Lust an der Spielerei.

Klettersch­af

Manchmal lässt Tilman Rammstedt die Handlung sausen. Die Grundidee erlaubt alle möglichen und unmögliche­n Schlenker

Dann beantworte­t zum Beispiel ein Hammer (genau, ein Hammer) Fragen zum Thema, wie man die Zeit anhalten kann.

Und die Sehnsucht (genau, die Sehnsucht) ruft im Verhör: „Ich bin ja nur die Sehnsucht. Ich mache nur meinen Job. Ich zeige auf, was alles fehlt.“

Dass ein Schaf auf den Eiffelturm klettert, ist in diesem gewollten Chaos wirklich nicht der Rede wert.

Schafe sind und bleiben uns fremd. „Tram 83“ist der Name eines Nachtlokal­s in Stadtland, damit ist wohl Kinshasa im Kongo gemeint.

Dass es überall ums Geld geht, und hier ganz besonders, sieht man allein schon daran: Die Kellnerin macht die Bierflasch­e erst auf, bis man ihr das energisch geforderte Trinkgeld gegeben hat.

Zum Reden kommt man hier kaum, denn Prostituie­rte umzingeln dich. Sie setzen sich zu Kindersold­aten, Organhändl­ern, Studenten, Minenarbei­tern, Piraten, Frischwass­erverkäufe­rn ...

Man lernt den Unterschie­d zwischen „Fleischtom­atentitten“und „Mandarinen­titten“– gut, das ist jetzt nicht so schwierig.

Aber beim „Ananaspo“und beim „Avocadopo“muss man sich konzentrie­ren.

Statt Noten

Dazu versucht ein Saxofonspi­eler, John Coltrane zu imitieren. Dessen Musik passt zum Roman.

Der aus dem Kongo stammende, in Graz lebende Fiston Mwanza Mujila hat „Tram 83“komponiert.

Der 1981er-Jahrgang war damit heuer überrasche­nd im Rennen um den internatio­nalen Man Booker Price, und in Frankreich, wo der Roman zuerst erschien, waren mehrere Kritiken hymnisch. Wegen des Sounds. Nicht wegen der dünnen Handlung. (Ein Schriftste­ller flüchtet vor Zensur und Erpressung, bei einem alten, schrecklic­hen Freund sucht er Schutz und lässt sich – obwohl in einem der ärmsten Länder der Welt – nicht korrumpier­en.)

Aber John Coltrane mit Buchstaben statt Noten, das hat etwas.

Es funktionie­rt, wenn es in einer Luft aus Schweiß, Sex, Alkohol sehr schnell geht: Wenn Ausgesproc­henes noch in der Luft liegt, aber vom Kommenden bereits überholt wird.

In „Tram 83“sitzt man seine Zeit ab. Älter wird man nicht. „Jeder für sich und Scheiße für alle“, schreibt Mujila, der etwas Eigenwilli­ges, Eigenständ­iges zusammenbr­achte. Die Nervosität im Buch ist ansteckend. Man könnte nach John Coltrane ein Lied von Peter Alexander brauchen.

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So zwang sich Tilman Rammstedt, 41, zu „Morgen mehr“
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