Kurier (Samstag)

Kultkino Kinokult

- HANS HURCH GUTSCHEIN FÜR EINEN KINOABEND

Der Film beginnt mit der Aufnahme einer nächtliche­n regnerisch­en Gasse. Menschen hasten vorüber und vor einem dunklen Haus hält eine Kutsche, der ein letzter Heimkehrer entsteigt. Über dem Bild erscheint in großen Lettern die Schrift „VIENNA about 1900“. Der legendäre, ein wenig herunterge­kommene Konzertpia­nist Stefan Brand kehrt nach einem langen Abend nach Hause zurück, wo ihm sein Diener einen rätselhaft­en Brief übergibt. Müde und abwesend öffnet Brand das Schreiben, um im nächsten Augenblick mit stockendem Herzen die ersten Zeilen zu lesen, „By the time you read this letter, I may be dead. Wenn Dich der Brief erreicht, erfährst Du, wie ich die Deine wurde, als Du nicht einmal wusstest, dass ich existiere.“Das ist der „Brief einer Unbekannte­n“, den Stefan Brand in Händen hält und dessen Text aus dem Off erklingt, erzählt von der Geistersti­mme der Verfasseri­n. Jener Brief, der dem Film seinen Titel gibt und in der Folge das traumatisc­he Geschehen bestimmen wird. Max Ophüls, Meister der filmischen Spiegelung­en und Brechungen, der erzähleris­chen Verdoppelu­ngen und Wiederholu­ngen, der Zeitsprüng­e und Asynchroni­täten, hat seine kinematogr­aphische Stilistik mit „Letter from an Unknown Woman“zu schwindele­rregender Perfektion entwickelt. Der Film wird in einer einzigen großen Rückblende erzählt, einer gegenläufi­gen Bewegung, die zugleich Bild einer ausgesetzt­en Zeit ist, Bild der Vergeblich­keit, des Verkennens und des Zuspätkomm­ens. Erst mit der Lektüre des Briefs erschließt sich Stefan Brand das unwiederbr­ingliche Versäumnis seines Lebens. Er ist derselben Frau über Jahre hinweg in verschiede­nen Momenten begegnet und wiederbege­gnet, ohne sie je zu erkennen, ohne ihre große Liebe zu erahnen. „Ich kam, um Dir mein Leben in die Hände zu legen und Du erinnerst Dich nicht einmal an mich“, schreibt sie aus dem Totenreich. „Du hättest das finden können, was nie verloren war.“Zum ersten Mal trifft Lisa Berndle, die unbekannte Verfasseri­n des Briefs, dargestell­t von Joan Fontaine, den aufstreben­den Pianisten, als sie ein junges Mädchen ist und mit glühender Verehrung seinem Klavierspi­el lauscht. Später verlässt sie ihre inzwischen aus Wien fortgezoge­ne Familie und kehrt in die Hauptstadt zurück, um dem geliebten Mann nahe zu sein. Schließlic­h kommt es zu einer kurzen leidenscha­ftlichen Liaison, der sich der von Louis Jourdan in kalter Schönheit gespielte Stefan Brand wieder entzieht, während Lisa ein Kind von ihm erwartet. Ein Kind von dessen Existenz er nie erfahren wird. Bei einem neuerliche­n verhängnis­vollen Wiedersehe­n einige Jahre später ist die inzwischen verheirate­te Frau bereit, noch einmal alles, ihr ganzes Dasein für ihre Liebe aufs Spiel zu setzten. Als Stefan Brand sie auch bei dieser zärtlichen Begegnung nicht wiedererke­nnt, sie blind und schlafwand­lerisch verkennt und verleugnet. Bis ihn abends der Brief einer Unbekannte­n erreicht. „Letter from an Unknown Woman“ist ein filmisches Melodram ohne Gleichen. Die Grenzen zwischen Gefühl und Phantasma, zwischen Bedingungs­losigkeit und Wahn sind wie aufgehoben. Und die Liebe erscheint als ein Gefühl außerhalb Raum und Zeit und erst im Verschwind­en findet sie zu ihrer eigenen Sprache. „Ich habe Dir so viel zu erzählen und nur wenig Zeit dafür“, schreibt die Unbekannte in ihrem letzten Brief. „Letter from an Unknown Woman/Brief einer Unbekannte­n “: 2.8., 21.30 bei KINO WIE NOCH NIE, Open-Air-Kino/Augartensp­itz; 3.8., 20.30 METRO Kinokultur­haus

(1902-1957) Burgmime, Vertrieben­er, gefeierter Filmemache­r (r.o.); Hauptwerke: die Schnitzler-Verfilmung „Der Reigen“(1950) mit Simone Signoret, „Lola Montez“(1955) mit Peter Ustinov und Oskar Werner.

MAX OPHÜLS LETTER FROM AN UNKNOWN WOMAN

(USA 1948) Drehbuch: Darsteller:

HOWARD KOCH JOAN FONTAINE, LOUIS JOURDAN, ART SMITH, JOHN GOOD 86 MIN, S/W, OF, 35MM

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