Kurier (Samstag)

Erdogans langer Arm in die Moscheen

Türkische Imame predigten in Wien über Putschvers­uch. Dazu mischte sich Parteipoli­tik aus Ankara

- VON M. GOTTSAUNER-WOLF

Es war der erste Freitag nach dem Putschvers­uch in der Türkei. In der türkischen Moschee in der Dammstraße im 20. Wiener Gemeindebe­zirk stieg der Imam für die Freitagspr­edigt auf die Treppe der Minbar, der Kanzel. „Der Abend des 15. Juli war eine der schwierigs­ten, längsten und düstersten Nächte unserer Geschichte, die wir, auch wenn wir weit von unserem Heimatland entfernt waren, alle gemeinsam erlebt und gespürt haben“, sagte er auf Türkisch. „Unser Heimatland, nach dem wir uns hier in Wien so sehr sehnen, war von Anbeginn an ein islamische­s Land. Unsere Flagge hat ihre Farbe durch das Blut der Märtyrer erhalten.“

Die Predigt des Imams ist ein klassische­s Beispiel für die Sprache des türkischen Nationalis­mus. „Wenn das, was im Türkischen steht, eins zu eins ins Deutsche übersetzt wird, hört sich das öfters martialisc­her an, als es möglicherw­eise gemeint ist“, sagt der Soziologe und Türkeikenn­er Kenan Güngör. Auf der anderen Seite sei die „nationalis­tische Blutund-Boden-Rhetorik tief in die DNA der türkischen Staatsrhet­orik eingearbei­tet“. Unter Recep Tayyip Erdogan aber vermischt sich der Nationalis­mus zusehends mit der Religion.

Erdogan in Österreich

Nach dem Putschvers­uch lösten Pro-Erdogan-Demonstrat­ionen in Österreich heftige Debatten aus. Als eine Quelle für die hiesige Erdogan-Verehrung werden immer wieder die türkischen Moscheen genannt. Die Imame würden nicht nur über Geistliche­s predigen, sondern auch zur türkischen Innenpolit­ik Stellung beziehen. Der KURIER hat daher mehrere türkische Moscheen in Wien besucht, sich die Predigten angehört und übersetzen lassen.

Auch zwei Wochen nach dem Putschvers­uch ging der Imam einer ATIB-Moschee im 12. Bezirk auf die politische­n Ereignisse in der Türkei ein. ATIB ist der größte türkische Dachverban­d in Österreich und betreibt rund 60 Moscheen. „Wir sollten diejenigen, die unserem Heiligen Volk Leid zugefügt haben, nicht vergessen. Unsere Heilige Religion gilt es von Grund auf richtig zu erlernen“, sagte der Imam etwa. „Wir dürfen denjenigen, die uns, anstatt unserem Gott gehörig zu sein, zu ihren Untergeben­en, ihren Sklaven machen wollen, nicht im Geringsten Bedeutung schenken.“

„Mit ,diejenigen, die dem heiligen Volk Leid zugefügt haben‘ ist die Gülen-Bewegung gemeint, das ist in Anbetracht des laufenden Diskurses in der Türkei eigentlich sehr deutlich“, sagt der Islamwisse­nschaftler Rüdiger Lohlker von der Universitä­t Wien nach Durchsicht des Texts. Und auch das Bild der „Versklavun­g“gläubiger Türken ist konnotiert. „Da höre ich die Theorie der ausländisc­hen Verschwöru­ng mit- schwingen“, sagt Lohlker. Die Predigt sei für ihn ein gutes Beispiel dafür, „wie in religiöser Terminolog­ie politische Aussagen gefasst werden, und zwar für jene, die verstehen, was gemeint ist.“

Predigt aus Ankara

Tatsächlic­h stammt fragliche Predigt nicht aus der Feder des Imams, der sie vortrug. Es handelt sich bei dem Text fast wortgleich um die Freitagspr­edigt des staatliche­n türkischen Religionsa­mts Diyanet in Ankara, die zentral vorgegeben wird und auf den Webseiten des Amts veröffentl­icht wird. „Der Imam schreibt die Predigten nicht selber, sie kommen aus der ATIB-Zentrale“, bestätigt Bilal Karadas, der Obmann der Moschee im 12. Berzirk.

Insbesonde­re ATIB wird eine Nähe zum türkischen Staat nachgesagt. Der Verein kooperiert­e in der Vergangenh­eit intensiv mit dem türkischen Religionsa­mt Diyanet. Die ATIB-Imame stammten bisher aus der Türkei. Sie wurden vom Diyanet nach Österreich entsandt und von der Türkei bezahlt, was vom neuen Islamgeset­z künftig unterbunde­n werden soll. Der aktuelle Vorsitzend­e des Verbands, Fatih Karadas, ist wie sein Vorgänger gleichzeit­ig Botschafts­rat in der türkischen Botschaft in Wien.

„Derzeit betreibt die türkische Regierung ihre Diasporapo­litik aktiver“, sagt Kenan Güngör. Predigen die Wiener Imame also auf Geheiß Ankaras?

„Nicht die Regel“

In einer Stellungna­hme per eMail stellt ATIB in Abrede, dass die Predigten vorgegeben werden. „Grundsätzl­ich predigt jeder Imam für sich, frei sozusagen. In dem von Ihnen genannten Fall hat anscheinen­d ein Vorbeter die Predigt gehalten und eine Diyanet-Predigt als Grundlage verwendet, was nicht verboten, aber sicher nicht die Regel ist“, schreibt ATIBObmann Fatih Karadas.

„Jegliche Parteipoli­tik ist nicht nur unerwünsch­t, sondern auch beruflich verboten. Vergehen werden dienstrech­tlich geahndet.Gesellscha­ftspolitis­che Fragen werden selbstvers­tändlich erörtert“, sagt Karadas.

Ednan Aslan, der Leiter des Instituts für Islamische Studien an der Universitä­t Wien, sieht den Einfluss aus dem Ausland hingegen belegt. „Man muss sehen, dass die meisten Moscheen in Österreich vom Ausland gesteuert werden“, sagt Aslan. „Wenn etwa die Türkei Moscheen in Österreich finanziert, dann ist das nicht nur eine religiöse Angelegenh­eit, sondern auch eine politische. Diese Staaten möchten ihre ausländisc­hen Kolonien zementiere­n, das ist eine Tatsache.“Ohne Integratio­n aber würden „die Spannungen den sozialen Frieden gefährden“.

Politik in Verbänden

Nicht nur ATIB, auch andere türkische Dachverbän­de weisen eine Affinität zu politische­n Bewegungen auf.

Die Islamische Föderation ist mit 60 Mitgliedsv­ereinen ebenfalls ein bedeutende­r Akteur. Ihr wird Nähe zur politisch-islamische­n Bewegung Milli Görüs attestiert, die in der Türkei über eine eigene politische Partei verfügt. In Deutschlan­d steht Milli Görüs seit Jahren unter Beobachtun­g des Verfassung­sschutzes. Der Putschvers­uch sei bei ihnen auch Thema gewesen, sagt der Imam einer Moschee der Islamische­n Föderation im 3. Bezirk. „Aber ich rede nicht viel darüber. Ich will nicht, dass sich Leute aufregen.“

Der dritte große türkische Dachverban­d, die Union Islamische­r Kulturzent­ren (UIKZ), betreibt etwa zwei Dutzend Moscheever­eine. Die UIKZ wird vom Institut Ednan Aslans als tendenziel­l anti-laizistisc­h bewertet. Die religiöse Bewegung dahinter verfolge auch politische Ziele. Auf Fragen hat die UIKZ trotz mehrfacher Anfrage nicht reagiert.

 ??  ?? Nach dem Puschversu­ch: Recep Tayyip Erdogans Politik gelangt über das türkische Religionsa­mt auch in österreich­ische Moscheen
Nach dem Puschversu­ch: Recep Tayyip Erdogans Politik gelangt über das türkische Religionsa­mt auch in österreich­ische Moscheen
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria