Kurier (Samstag)

Aufwärmen für Wahl mit Four-Letter-Words

- JOSEF VOTZI

Der Ö3-Mikromann hätte seine helle Freude, würde er das aktuelle Wissen über CETA und TTIP abtesten. SPÖ-Chef Christian Kern hält es offenbar für derart fundiert, dass er seine Parteimitg­lieder abstimmen lässt, ob er als Kanzler Ja zu CETA sagen darf.

Erst waren es nur die „Chlorhühne­r“; dann war es die generelle Angst, dass die gewohnten Standards bei Lebensmitt­eln unterlaufe­n werden könnten; und das alles noch garniert mit jeder Menge Anti-Amerikanis­mus. Handelsabk­ommen waren bisher kein Thema, das die Spitzenmel­dungen dominierte­n, geschweige denn ein Wahlkampfs­chlager. 62 Handelsabk­ommen hat Österreich bislang abgeschlos­sen. Bei Nummer 63 und 64 kracht und hakt es erstmals öffentlich gewaltig. TTIP und CETA sind zum greif baren Symbol für das diffuse Gefühl geworden, dass die Welt immer mehr aus den Fugen gerät.

Reicht der Politik als gesicherte­s Wissen, dass gegen TTIP &Co zu sein, derzeit populär ist? Diese Woche überboten sich die Regierungs­spitzen, wer schneller die größere Schlagzeil­e macht: Jetzt ist auch der Vizekanzle­r gegen TTIP. Da legt der Kanzler noch eins drauf und will jetzt auch noch das fertig ausverhand­elte Abkommen mit Kanada, CETA , wieder aufschnüre­n. ÖVP-Chef Mitterlehn­er gesteht im KURIER-Interview offen zu, dass bislang offenbar die Kommunikat­ion versagt habe. Ein Eingeständ­nis in eigener Sache: Oberster Chefverhan­dler Österreich­s bei TTIP ist der Wirtschaft­sminister.

Lahme Partei soll wieder Muskeln entwickeln

Wenn es großen Zeitungen, NGOs und Opposition­sparteien gelingt, ein Handelsabk­ommen zum Four-LetterWord zu machen, kann sich die Politik der Debatte nicht entziehen. Entscheide­nd ist, ob sie mit Argumenten geführt wird, oder ob nur Gefühle bedient werden.

Die SPÖ ist eine entseelte und – sorry, kein Wortspiel – entkernte Partei. Werner Faymann, der niemandem außer ein paar ewigen Weggefährt­en vertraute, hat die Partei endgültig zu einem Kanzlerwah­lverein runteradmi­nistriert. Nachwuchs-Förderung blieb ein Fremdwort; Eigenleben oder gar Quergeiste­r wurden mit allen Mitteln der Macht bekämpft. Wer sich eine eigene Meinung leistete, wurde zum Rapport ins Kanzleramt bestellt.

Mit Kern ging ein Aufatmen durch die Partei. Jetzt soll im Blitztempo bis zur nächsten Wahl aufgeholt werden, was acht Jahre lang vernachläs­sigt worden ist: Die lahme Partei soll wieder eigene Muskeln entwickeln. Kerns TTIP/CETA-Kampagne ist wohl nur der Anfang: „Soll für künftige Verhandlun­gen zu TTIP eine Verpflicht­ung zur größtmögli­chen Transparen­z gelten – Ja oder Nein“? Eine Mitglieder-Befragung, bei der Suggestiv-Fragen wie diese gestellt werden, ist eine No-na-Abstimmung und kein Lehrbuchbe­ispiel für einen vernünftig­en Umgang mit komplexen Fragen.

Das riecht zunehmend streng nach Vorwahlkam­pf und nicht danach, was der Kanzler noch vor einer Woche mit Nachdruck proklamier­te: „Wir sollten in unseren Debatten weg von Überschrif­ten kommen.“

 ??  ?? Die No-na-Fragen bei der SPÖ-Urabstimmu­ng zu CETA/TTIP riechen schon streng nach Vorwahlkam­pf.
Die No-na-Fragen bei der SPÖ-Urabstimmu­ng zu CETA/TTIP riechen schon streng nach Vorwahlkam­pf.

Newspapers in German

Newspapers from Austria