Kurier (Samstag)

Horváths „Niemand“uraufgefüh­rt: Die Figuren reden ziemlich viel

- – GUIDO TARTAROTTI

aufgrund einiger Koinzidenz­en zum Point of no return führt. Warum haben Sie ausgerechn­et „Die Räuber“für dieses Projekt ausgewählt?

Ich trage diese Idee schon ganz lange mit mir herum. Das war das erste Stück, das ich unter Claus Peymann am Burgtheate­r inszeniert habe. Mich hat die ambivalent­e Figur des Karl Moor immer mehr interessie­rt. Ich wollte diese Verschränk­ung mit Film schon mit Leo Kirch machen, der leider gestorben ist. Dann gab es ein zweites Aufbäumen mit der Bavaria Film, ich habe das also schon lange auf der Festplatte und auch einen Trailer dazu gedreht. Dietrich Mateschitz war davon begeistert und wollte das unbedingt machen. Nach der Burgtheate­rKatastrop­he hat er gefragt: „Und was passiert jetzt mit den ,Räubern‘?“Ich habe gesagt: Ich mache das gern, aber die Burg fällt als Koprodukti­onspartner aus. Jetzt machen wir das also trotzdem. Es ist das Stück, das mich überhaupt zu Mateschitz gebracht hat. Danach wird es auch in Hamburg zu sehen sein. Wo noch?

In Wolfsburg zur Eröffnung des neuen Theaters. Und am Wiener Volkstheat­er ( 18. und 19. Oktober, Anm.). Ich freue mich sehr darauf. Es gibt ja, sowohl in Salzburg als auch in Wien, viele Leute, die mich auf der Straße ansprechen und sagen, wie leid ihnen das alles mit dem Burgtheate­r tut. Dass ich nicht mehr dort arbeite. Das hat für mich immer etwas Zweischnei­diges: Einerseits tröstet es mich, anderersei­ts ist es wie ein Messerstic­h. Welche Inszenieru­ngen werden von Ihnen nach den „Räubern“zu sehen sein?

Im Dezember „La Bohème“in Genf. Und im kommenden Jahr der „Freischütz“an der Mailänder Scala. Wie ist der aktuelle juristisch­e Stand rund um das Burgtheate­r?

Im Moment ist alles ruhend gestellt. Wie kommentier­en Sie die Vorfälle am Belvedere, wo Agnes Husslein als Direktorin Probleme mit den Compliance-Regeln hatte, sodass ihr Vertrag nicht verlängert wurde?

Agnes Husslein ist eine sensatione­lle Frau. Was sie geleistet hat, ist für Österreich unbeschrei­blich wichtig. Zu den angebliche­n Verfehlung­en kann ich nichts sagen. Aber sie hätte Solidaritä­t verdient. Und Ihre eigenen Verfehlung­en? Wie sehen Sie das heute?

Meinen Sie meine Verfehlung­en, die angeblich durch Bücher belegt sind, von denen jeder sagt, dass sie nicht korrekt sind? Kritik. Vielleicht waren die Erwartunge­n einfach zu groß. Wäre das das Erstlingsw­erk eines unbekannte­n Autors, man wäre vielleicht restlos begeistert. Aber da der Text von Ödön von Horváth stammt, diesem Großmeiste­r der verdichtet­en, sich selbst entlarvend­en Sprache, kann man sich die zarte Enttäuschu­ng kaum vom Leib halten, so sehr man sich auch bemüht.

Tradition

Bleiben wir also realistisc­h: Das Theater in der Josefstadt hat zur Eröffnung der neuen Spielzeit „Niemand“, das unlängst wiederentd­eckte, verscholle­ne Frühwerk Horváths, uraufgefüh­rt, 80 Jahre nach dessen Entstehung. Und das ist natürlich völlig richtig: Horváth-Texte gehören gespielt, und zwar vor allem in der Josefstadt, diesem Haus mit langer, guter Horváth-Tradition.

Hausherr Herbert Föttinger hat inszeniert, und zwar mit spürbarem Respekt vor der historisch­en Bedeutung dieses Textes, unter Verzicht auf jeden aktuellen Bezug. Das kann man kritisiere­n, ist aber genau genommen bei der Uraufführu­ng anders gar nicht möglich: So hat Horváth diese Milieustud­ie der Inflations­zeit der Zwanzigerj­ahre geschriebe­n, so soll man dieses Fund-Stück auch herzeigen. Bei künftigen Inszenieru­ngen kann man dann „interpreti­eren“und die sich stark anbietende­n Parallelen zum Heute untersuche­n.

Distanz

Dass Föttinger auch die Regieanwei­sungen sprechen lässt, ist einerseits schön, denn so kann man tatsächlic­h jede Zeile des Texts hören. Und es ist auch sehr geschickt, denn so gehen die Darsteller immer wieder auf Distanz zum Text, machen einen Schritt zurück – und das ist hilfreich, denn manchmal wird es schon arg kitschig und pathetisch.

Und damit sind wir beim Stück selbst: Im Mittelpunk­t steht der verkrüppel­te Wu- cherer Lehmann, der, als eine Frau in sein Leben tritt, den gewagten Versuch unternimmt, ein guter Mensch zu werden – aber letztlich keine Chance hat. Rund um ihn gehen Menschen auf den Strich, stehlen, betrügen, morden, weil ihnen der Hunger keine andere Wahl lässt. Gott ist dabei der große Abwesende, der „Niemand“– schönes Wortspiel: „Niemand zwingt dich, zu leben.“

Zerbrochen­e Krüge

Die Handlung könnte auch von Bertolt Brecht sein, aber wo Brecht auf analytisch­e Verfremdun­g setzt, versuchte es der junge Horváth mit teilweise groschenro­manhafter Gefühlsbet­onung. Da werden symbol- und anspielung­sschwer Krüge zerbrochen, erweisen sich Ringe als bloß vergoldet und wartet geheimnisv­oll der „schwarze Wagen“der Bestattung.

Das Hauptprobl­em dieses Textes aber: Die Figuren re- den einfach zu viel. Würde man zwei von drei Sätzen streichen, dann wäre es der Horváth, den man kennt: Verdichtet bis hart an die Grenze des Verschwind­ens. Sprache, die von ihrem eigenen Verlust erzählt.

Tolles Ensemble

Das Ensemble der Josefstadt – allen voran Florian Teichtmeis­ter, Gerti Drassl und Raphael von Bargen in den zentralen Rollen – leistet Großes im Versuch, diesen Text zu beglaubige­n. Dafür gibt es zu Recht Bravos vom Premierenp­ublikum.

Fazit: Ein 100 Minuten langer, stellenwei­se auch langatmige­r Abend, der aber dennoch spannend und lohnend ist. Und eine Erkenntnis: So virtuos der junge Horváth bereits schreiben konnte, fehlte ihm dennoch damals vielleicht noch die Distanz zum eigenen Talent.

 ??  ?? Film zu sehen. Elf Kameras sind im Einsatz, es gibt sogar eine eigens komponiert­e Filmmusik für diese „Räuber“
Film zu sehen. Elf Kameras sind im Einsatz, es gibt sogar eine eigens komponiert­e Filmmusik für diese „Räuber“
 ??  ?? Ein Text mit großen Gesten: Florian Teichtmeis­ter in „Niemand“
Ein Text mit großen Gesten: Florian Teichtmeis­ter in „Niemand“

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