In der Koalition regiert das Foul
Gräben in Regierung vertiefen sich just vor entscheidenden Reformprojekten
Exakt drei Wochen ist es her, da hat der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer der Bundesregierung ein Ultimatum gestellt. Sollten SPÖ und ÖVP im Herbst kein großes Reformpaket vorlegen, schlittere man unweigerlich in eine vorgezogene Neuwahl.
„Die Gesetzgebungsperiode dauert bis 2018“, wehrt SPÖ-Klubchef Andreas Schieder Fragen nach dem Ablaufdatum der Koalition ab. „Fouls führen nicht zum Spielabbruch“, sagt dazu sein ÖVP-Pendant Reinhold Lopatka ( siehe Interview unten).
Inwieweit das fromme Versprechen zu halten sein wird, werden schon die nächsten Wochen zeigen.
Die Regierung hat vor rund zehn Tagen einen straffen Zeitplan für fünf ihrer zentralen Reformvorhaben vorgelegt – von Asyl & Integration über Bildung bis Wirtschaft & Arbeit.
Bis einschließlich 8. November soll erledigt sein, worüber jetzt Monate, wenn nicht Jahre gerungen wurde.
Die Palette reicht von der Abschaffung der kalten Progression bis zur Entrümpelung der Gewerbeordnung. 200.000 neue Jobs bis 2020 hat sich Bundeskanzler Christian Kern vorgenommen. Doch die Erwartungshaltung sinkt, je näher die konkreten Reform-Termine rücken und je heftiger ein Schlagabtausch wird, den sich die Koalitionäre nun auch wieder in Grundsatzfragen liefern.
Einsam oder zweisam
Den Anfang machten die Solo-Auftritte Kerns nach dem Ende des Pressefoyers im Gefolge des allwöchentlichen Ministerrats. Eine Grundsatzfrage, wenn man so will, wie gemeinsame Regierungsarbeit – einsam oder zweisam – präsentiert wird.
Zuletzt hat vor allem Kerns linkslastiger Gastkommentar in der Frankfurter All-
gemeinen für Empörung im konservativen Lager gesorgt. Warf er doch wirtschaftspolitische Grundsatzfragen auf, indem Kern gegen eine allzu strikte neoliberale Sparpolitik in Europa zu Felde zog und das schwarze Schreckgespenst einer neuen Schuldenpolitik herbeirief.
„Es ist seine Tonalität in Richtung Umverteilung und Schuldenmacherei. Und dass Kern das als Bundeskanzler und nicht als SPÖ-Chef geschrieben hat. Da hätte auch Alexis Tsipras drunter stehen können“, sagt ein VPler hinter vorgehaltener Hand.
Nach dem Erscheinen des Kommentars am Montag hatten VP-Chef Reinhold Mitterlehner und VP-Finanzminister Hans Jörg Schelling rasch die Sozialismus-Keule zur Hand. Kern habe die gemeinsame Regierungslinie „massiv unterlaufen“, sagt Lopatka. Kern sei eben ein „linker Ideologieträger“, ätzte Schelling.
„Ja, das belastet die Arbeit in der Koalition, wenn der wirtschaftspolitische Sachverstand auf so ein Niveau sinkt“, kontert Schieder. Er dachte bisher, auch der Finanzminister sei für mehr In- vestitionen, sprich Wirtschaftswachstum und Jobs zu haben, „weil da meistens auch bei ihm der Steuer-Euro klingelt“, sagt der rote Klubchef.
Der überraschende Anlass für Schieders Äußerungen am Freitag: SPÖ-Vorschläge zur Reform der Gewerbeordnung samt Frontalangriff auf Wirtschaftskammer und freie Berufe.
Das Besondere an den roten Ideen ist weniger ihr Gehalt, als der Zeitpunkt der Präsentation und vor allem: Die Reform der Gewerbeordnung ist das Lieblingsprojekt von Mitterlehner.
Eine gezielte Provokation des Koalitionspartners kurz vor möglichen Ergebnissen der gemeinsamen Arbeitsgruppen? Schieder verneint, legt jedoch in Richtung Gewerbeordnung und Mitterlehner nach: „Ich empfehle niemandem, sich etwas auf die Fahnen zu heften. Sonst vermute ich, dass der Finanzminister wieder mit dem Vorwurf des Linksextremismus anrückt.“