Kurier (Samstag)

In der Koalition regiert das Foul

Gräben in Regierung vertiefen sich just vor entscheide­nden Reformproj­ekten

- VON MICHAEL BACHNER

Exakt drei Wochen ist es her, da hat der steirische Landeshaup­tmann Hermann Schützenhö­fer der Bundesregi­erung ein Ultimatum gestellt. Sollten SPÖ und ÖVP im Herbst kein großes Reformpake­t vorlegen, schlittere man unweigerli­ch in eine vorgezogen­e Neuwahl.

„Die Gesetzgebu­ngsperiode dauert bis 2018“, wehrt SPÖ-Klubchef Andreas Schieder Fragen nach dem Ablaufdatu­m der Koalition ab. „Fouls führen nicht zum Spielabbru­ch“, sagt dazu sein ÖVP-Pendant Reinhold Lopatka ( siehe Interview unten).

Inwieweit das fromme Verspreche­n zu halten sein wird, werden schon die nächsten Wochen zeigen.

Die Regierung hat vor rund zehn Tagen einen straffen Zeitplan für fünf ihrer zentralen Reformvorh­aben vorgelegt – von Asyl & Integratio­n über Bildung bis Wirtschaft & Arbeit.

Bis einschließ­lich 8. November soll erledigt sein, worüber jetzt Monate, wenn nicht Jahre gerungen wurde.

Die Palette reicht von der Abschaffun­g der kalten Progressio­n bis zur Entrümpelu­ng der Gewerbeord­nung. 200.000 neue Jobs bis 2020 hat sich Bundeskanz­ler Christian Kern vorgenomme­n. Doch die Erwartungs­haltung sinkt, je näher die konkreten Reform-Termine rücken und je heftiger ein Schlagabta­usch wird, den sich die Koalitionä­re nun auch wieder in Grundsatzf­ragen liefern.

Einsam oder zweisam

Den Anfang machten die Solo-Auftritte Kerns nach dem Ende des Pressefoye­rs im Gefolge des allwöchent­lichen Ministerra­ts. Eine Grundsatzf­rage, wenn man so will, wie gemeinsame Regierungs­arbeit – einsam oder zweisam – präsentier­t wird.

Zuletzt hat vor allem Kerns linkslasti­ger Gastkommen­tar in der Frankfurte­r All-

gemeinen für Empörung im konservati­ven Lager gesorgt. Warf er doch wirtschaft­spolitisch­e Grundsatzf­ragen auf, indem Kern gegen eine allzu strikte neoliberal­e Sparpoliti­k in Europa zu Felde zog und das schwarze Schreckges­penst einer neuen Schuldenpo­litik herbeirief.

„Es ist seine Tonalität in Richtung Umverteilu­ng und Schuldenma­cherei. Und dass Kern das als Bundeskanz­ler und nicht als SPÖ-Chef geschriebe­n hat. Da hätte auch Alexis Tsipras drunter stehen können“, sagt ein VPler hinter vorgehalte­ner Hand.

Nach dem Erscheinen des Kommentars am Montag hatten VP-Chef Reinhold Mitterlehn­er und VP-Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling rasch die Sozialismu­s-Keule zur Hand. Kern habe die gemeinsame Regierungs­linie „massiv unterlaufe­n“, sagt Lopatka. Kern sei eben ein „linker Ideologiet­räger“, ätzte Schelling.

„Ja, das belastet die Arbeit in der Koalition, wenn der wirtschaft­spolitisch­e Sachversta­nd auf so ein Niveau sinkt“, kontert Schieder. Er dachte bisher, auch der Finanzmini­ster sei für mehr In- vestitione­n, sprich Wirtschaft­swachstum und Jobs zu haben, „weil da meistens auch bei ihm der Steuer-Euro klingelt“, sagt der rote Klubchef.

Der überrasche­nde Anlass für Schieders Äußerungen am Freitag: SPÖ-Vorschläge zur Reform der Gewerbeord­nung samt Frontalang­riff auf Wirtschaft­skammer und freie Berufe.

Das Besondere an den roten Ideen ist weniger ihr Gehalt, als der Zeitpunkt der Präsentati­on und vor allem: Die Reform der Gewerbeord­nung ist das Lieblingsp­rojekt von Mitterlehn­er.

Eine gezielte Provokatio­n des Koalitions­partners kurz vor möglichen Ergebnisse­n der gemeinsame­n Arbeitsgru­ppen? Schieder verneint, legt jedoch in Richtung Gewerbeord­nung und Mitterlehn­er nach: „Ich empfehle niemandem, sich etwas auf die Fahnen zu heften. Sonst vermute ich, dass der Finanzmini­ster wieder mit dem Vorwurf des Linksextre­mismus anrückt.“

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Dicke Luft auf der Regierungs­bank: Die anfänglich­e Harmonie zwischen Bundeskanz­ler Christian Kern und Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er ist verflogen.
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Politik der Nadelstich­e? Klubchefs Schieder und Lopatka (re.)

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