Kurier (Samstag)

„Postfaktis­ch“– ein Modewort mit Gefühl

In der Gefühlsdem­okratie geht es um Gesichter und Emotionen, die Fakten lassen wir immer mehr hinter uns.

- HELMUT BRANDSTÄTT­ER eMail an: helmut.brandstaet­ter@kurier.at auf Twitter folgen: @HBrandstae­tter

Der Wahlkampf soll also unterbroch­en werden. Fein. Das gilt aber nur für das Rennen um die Hofburg. Das Stechen und Hauen zwischen SPÖ und ÖVP geht munter weiter. Die SPÖ freut sich, dass sie die Schwarzen im ORF „gelegt“hat, nachdem sie sich im Rechnungsh­of selbst „gelegt“gefühlt hat. Und für den stets kampfberei­ten Reinhold Lopatka – haben Klubobleut­e sonst nichts zu tun – ist „Kern eins zu eins wie Faymann“. Na bumm, so steigert die Wirtschaft­spartei sicher das Bruttosozi­alprodukt.

Wollen wir einmal Mitgefühl für die Koalitionä­re zeigen: SPÖ und ÖVP waren einmal Parteien mit festem Fundament, zum Teil historisch­en Leistungen und klaren Machtstruk­turen. Davon ist nicht viel geblieben. Kämpften sie früher um absolute Mehrheiten, sind sie heute gemeinsam von einer Regierungs­mehrheit ein Stück entfernt. Der SPÖ sind noch Wien und einige Wirtschaft­sbetriebe geblieben, wo man weitgehend nach Belieben fuhrwerken kann, der ÖVP Niederöste­rreich. Vor allem aber haben beide Parteien grundsätzl­iche Arbeit vermieden und können selbst die Notwendigk­eit ihrer Existenz nicht mehr definieren. Da bleibt nur mehr das Verteilen von Posten, und das geht immer wieder schief.

Die unsichere Zukunft von SPÖ und ÖVP

Der neue SPÖ-Chef Christian Kern hat verstanden, dass er sich in der Frage der Flüchtling­e nicht von der ÖVP entfernen darf, nicht nur wegen des notwendige­n Überlebens­triebes, sondern auch, weil „der Gemeindeba­u“ohnehin schon ziemlich blau eingefärbt ist. Da bleibt ihm gar nichts anderes über, als mit Vorschläge­n zur Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik links zu blinken. Vorschläge zu einer höheren Verschuldu­ng alleine bringen noch keine Wähler. Der Versuch, über Aktionen gegen CETA und TTIP so zu tun, als könne Österreich sich gegen den rauen Wind der Globalisie­rung wehren, wirkt auch bemüht. Ideen, wie das entwickelt­e europäisch­e Sozialsyst­em weiter finanzierb­ar sein wird, fehlen noch.

Beide Parteien haben noch eine Struktur und hoffen auf Funktionär­e, die „laufen“, also Wahlwerbun­g betreiben. Aber die Mitglieder­basis wird älter und schwächer. Bei Sebastian Kurz hat man zunehmend den Eindruck, dass er bei seiner Zukunftspl­anung weniger auf die eigene Partei setzt. Die ÖVP zerfiel immer stark in regionale und bündische Eigeninter­essen, viel Kraft ist da nicht geblieben. Kurz dürfte nun eher an eine Art bürgerlich­es Bündnis glauben. Irmgard Griss hat im 1. Wahlgang der Präsidente­nwahl mit knapp 20 Prozent bewiesen, dass es hier Potenzial für starke Persönlich­keiten gibt, vielleicht sogar gemeinsam.

Im laufenden Wahlkampf für den Nationalra­t, der wohl nicht mehr zu stoppen ist, wird also Kanzler Kern eher als Außenminis­ter Kurz versuchen, seine Partei inhaltlich zu positionie­ren. Kurz wird auf die emotionale Sammlung der bürgerlich­en Kräfte setzen. In einer Zeit, die bei der deutschen Kanzlerin Merkel „postfaktis­ch“heißt, werden Emotionen immer wichtiger.

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