Warten unter dem Christbaum
Flüchtling in Österreich. Seit 14 Monaten lebt ein junger Afghane bei einer Wiener Familie. Bis heute muss er warten, dass sein Asylantrag bearbeitet wird. Wie hat sich sein Leben und jenes der Gastfamilie bisher entwickelt?
Der KURIER bat vor einem Jahr eine Familie, die einen jungen Flüchtling bei sich aufnahm, selbst zu erzählen, wie sich das Familienleben seither geändert hat. Ein Jahr später haben wir nachgefragt, wie sich „Ein Afghane unterm Christbaum“, so der Titel der Geschichte am Heiligen Abend 2015, weiterentwickelt hat.
Achtzehn Monate lebt der 22-jährige Sami nun in Österreich, davon seit 14 Monaten mit uns in der Familie. Sein Vater und Onkel wurden von den Taliban ermordet, seine Mutter und ein Bruder leben in der Türkei. Er hat sich alleine bis nach Wien durchgeschlagen.
Aus einem Flüchtling, einem Schutzbedürftigen, ist ein junger Mann geworden, der sich der großen Anforderung gegenübersieht, Bildung so weit nachzuholen, dass das, was als Integration in aller (politischen) Munde ist, gelingen kann. So hat Sami seine Deutschkenntnisse so weit verbessert, dass er nunmehr einen Volkshochschulkurs für den Pflichtschulabschluss besuchen kann.
Spätestens hier wurde auch uns erst richtig bewusst, was das westeuropäische Bildungssystem unseren Kin- dern alles vermittelt hat. Geografische und politische Zusammenhänge der Welt, was ist Globalisierung, was Umweltbewusstsein, was ist Rechtsstaatlichkeit oder ein Justizsystem? Sami kommt aus dem Norden Afghanistans, Taliban-Gebiet. Dort hatte er – bis auf die KoranSchule, in der Rechnen und Schreiben gelehrt wird – keinerlei Zugang zur Bildung.
Jetzt, wo er in der Schule auch alle Berufsmöglichkeiten für Pflichtschulabgänger kennengelernt hat, möchte er Elektriker oder Installateur werden. Er ist handwerklich sehr geschickt und begreift schnell. Noch geht es aber um mathematische Grundkenntnisse, um Geografie, Biologie und um österreichische Geschichte. Ein Besuch im Hohen Haus am Ring war für ihn sehr beeindruckend. Demokratie und Gleichberechtigung wird für ihn er-
fahrbar. In seiner Klasse erlebt er, wie klug und selbstbewusst Mädchen sind. Und wie schön dieses Miteinander sein kann. Dabei helfen mit unendlich viel Geduld und Verständnis seine Lehrer, über die ich nur das Beste berichten kann.
Freunde gefunden hat er auch im Rugby-Club Donau, stolz hat er uns erzählt, dass
er in die Kampfmannschaft aufgenommen wurde. So ist unser Alltag weniger von der Flüchtlingskrise sondern mehr von Schul- und Lehrinhalten geprägt. Sami und wir sind unendlich dankbar, dass es diese Möglichkeiten zu lernen auch für Erwachsene gibt. Wir würden es nicht schaffen, Sami nur aufgenommen zu haben. Die Möglichkeit, durch eine Berufsausbildung in die Selbstständigkeit und Selbsterhaltung zu gelangen, ermöglicht uns und ihm, sich auf ein Ziel auszurichten. Perspektivenlosigkeit verändert sich – in eine echte Orientierung in Richtung Zukunft. Was er sich so sehr wünscht, ist, für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen zu können. Geld ohne Arbeit zu bekommen – 200 Euro Grundsicherung im Monat – ist ihm noch immer unheimlich. Und peinlich. Noch schöner ist es zu erfahren, dass es sehr viele Menschen gibt, die ähnlich engagiert als Familien wie wir oder in Betrieben und Institutionen aktiv beteiligt sind, dass eine der größten Krisen der Nachkriegszeit zumindest auf einer zivilgesellschaftlichen Ebene versucht wird zu bewältigen. Der Austausch mit all den Helfern hat allerdings ein bedrückendes Gemeinsames: Das für manche jahrelange Warten auf Interviews bei der Asylbehörde. Die Verzweiflung, wenn Bescheide negativ ausgestellt werden, obwohl Kinder schon eingeschult sind und gut Deutsch können. Und deren Eltern, die versuchen ihre Qualifikationen nachzuweisen oder dabei sind welche zu erwerben. Es ist Weihnachten und ich weiß, dass auch diese Geschichte neben positiver Resonanz auch mit Hass und Verachtung kommentiert werden wird. Dies auszuhalten fällt uns und allen, die helfen, nicht leicht. Wir sind weder naiv noch weltfremd, wir haben die Möglichkeit zu helfen, und machen das gerne, weil es unserem Verständnis von Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit entspricht. Sami hat auch in der Schule schon „Stille Nacht“gesungen, er kennt den Text, und wird das auch heute Abend mit uns singen. Und er hat einen Weihnachtswunsch: Endlich eine Bearbeitung seines Asylantrages und ein positiver Bescheid.