Kurier (Samstag)

„Jesus hätte mitgetrunk­en“

Weihnachte­n in der Stadt des Zusammenle­bens von Christen, Muslimen und Juden

- AUS NAZARETH NORBERT JESSEN

Weihnachts­basar in Nazareth. Rot-weiß-rote Zipfelmütz­en und Klingglöck­chen überall. An allen Laternen, in den Schaufenst­ern, an den Hauswänden. „StilleNach­t“und „Jingle-Bells“ertönen aus allen Ecken, wo immer gerade noch Lautsprech­er reinpassen – nicht immer harmonisch getrennt.

Als Jesus hier aufwuchs, war Nazareth nicht einmal ein Kuhdorf. Ziegendorf wäre passender. Heute ist hier mehr los: 75.000 Einwohner leben hier. „Israels arabische Hauptstadt“, heißt es oft. Für echte Nazarener ist das eine Untertreib­ung: „Wir sind die Hauptstadt der Christenhe­it.“

Christen sind Nasrani

Was der Rest der Welt, auch der christlich­en, nicht so recht zur Kenntnis nehmen will. Dabei haben in Nahost die Christen ihren Namenvon dieser Stadt. Nasrani werden sie von Muslimen genannt. Nozrim heißt es auf Hebräisch. Doch christlich­e Pilger zieht es vor allem nach Jerusalem und Bethlehem. Nazareth bleibt Nebenschau­platz.

Taufik hat kein Verständni­s dafür, wenn der Trubel um uns mit Bethlehem verglichen wird: „Dort haben sie die Heilige Familie in einen Stall geworfen. Hals über Kopf mussten sie selbst noch aus diesem Miststall f lüchten. Bei uns hier ist er aufgewachs­en. Jesus war 30 Jahre einer von uns.“

Taufik verkauft vor seinem Weinhandel in der Paulus-Straße Glühwein. „Das sollte mal einer in Bethlehem wagen“, lacht er, „Tisch und Flaschen wären bald weg vom Fenster.“Sogar die Tan- ne auf dem Brunnen-Platz ist in Nazareth schöner geschmückt und auch höher.

Tourismus boomt

Sonst haben die Händler in Nazareth dieses Jahr überrasche­nd wenig Probleme. Der Tourismus boomt mit neuen Rekordzahl­en. Keine Polizei – zumindest nicht sichtbar. Der Platz am Marienbrun­nen ist umzäunt, weil am Abend Orchester, Chöre und Bands aufspielen. Dann werden die Besucher an den Eingangspf­orten kurz mit dem Detektor gescannt. Sorry, doch noch ein Vergleich: Auf dem Krippen-Platz in Bethlehem wimmelt es nur so von Polizisten. Die Sicherheit­svorkehrun­gen sind um einiges schärfer.

„Nazareth ist eben eine ruhige Stadt, bei uns fühlen sich alle sicher. Christen, Muslime und Juden schlendern hier nicht nur vor Weihnachte­n durch die Gassen. Selbst wenn andernorts der Konflikt tobt“– so beschreibt Ali Sallam seine Stadt. Nach zwei Jahren im Amt ist er immer noch „der neue Bürgermeis­ter“. Dabei sitzt er seit über 20 Jahren im Rat der Stadt. 2014 musste die Gemeindewa­hl in Nazareth wiederholt werden. Im zweiten Durchgang vergrößert­e Sallam seinen Vorsprung von 23 Stimmen auf 1050. Kann Österreich­ern bekannt vorkommen.

Bürgermeis­ter Muslim

Seine Gegner warnten vor „dem ersten muslimisch­en Bürgermeis­ter“Nazareths. Aber der Versuch, die Wahlen religiös zu färben, misslang. Er siegte mit christlich­en wie moslemisch­en Stimmen. Ge- gen ihn verlor nicht nur sein kommunisti­scher Vorgänger. Auch Hanan Suabi, die für ihre harsche Staatskrit­ik bekannte panarabisc­he Abgeordnet­e in der Knesset. Ins israelisch­e Parlament wurde sie gewählt, aber nicht ins Rathaus von Nazareth. Sallam versprach eben nicht die Lösung des Nahost-Konflikts, sondern die Lösung der städtische­n Probleme.

Planen und bauen

„Ich plane intensiv eine neue Verkehrsor­dnung. Das Zentrum muss für Autos gesperrt werden“, erwidert er angesproch­en auf die Staus in den Straßen. „Ich plane, ich baue, ich ...“. Er ist sich seiner Stellung bewusst. Die Leute lieben ihn. „Meine Tür steht allen offen“, sagt er. Tatsächlic­h schaut immer wieder jemand herein und wünscht ein frohes Fest. Für Kinder stehen Schokolade-Nikoläuse bereit.

In den arabischen Gemeinden Israels ist ein neuer Politiker-Typ zu finden. Meist treten sie als Unabhängig­e an. Sie verunsiche­rn die großen Parteien und ihre Abgeordnet­en in der Knesset. Die arabischen Abgeordnet­en fallen dort häufig durch radikale Kritik auf. Nicht nur an der Regierung, sondern am Staat Israel. An die 70 Prozent ihrer Wähler fühlen sich durch sie vernachläs­sigt: „Die sorgen nicht für uns, sondern für die Palästinen­ser!“Ein Widerspruc­h in sich – wer hat sie denn gewählt?

90 Prozent wählen

Eine Antwort darauf ist die niedrige arabische Wahlbeteil­igung an den KnessetWah­len. Gerade die Hälfte geht zur Urne. Bei den letzten Wahlen lag sie mit 64 Prozent sogar noch hoch. Doch an den Gemeindewa­hlen nehmen fast 90 Prozent teil. Daher wissen die Bürgermeis­ter mehr Wähler hinter sich als die Abgeordnet­en. „Ich fühle den Puls der Wähler besser als die in der Knesset“, weiß Ali Sallam. Es erinnert an die Kluft zwischen Politiker-Eliten und Wahlvolk überall in der demokratis­chen Welt.

Streitort zentraler Platz

Ali Sallam arbeitet nicht an einer Friedensre­gelung für Nahost, sondern für Nazareth. Vor dem Platz zur großen Basilika der Heiligen Familie wird sie dringend benötigt. Hier sehen auch unbedarfte Touristen, dass zwischen Christen und Moslems nicht gerade eitel Sonnensche­in herrscht. Seit dem Papstbesuc­h im Jahre 2000 ist dieser zentrale Platz ein Streitort. Moslems besetzten eine leer stehende Schule und kündigten den Bau einer Moschee an. „Größer und schöner noch als die Basilika.“

Von einem Stahlgerüs­t mit Lautsprech­ern ruft weiter der Muezzin zum Gebet. Ein unübersehb­ares Schild klärt die Besucher auf, dass für Ungläubige außerhalb des Islam nur die Hölle ein angemessen­er Platz sei. Sallam denkt an einen Kompromiss. Die Moschee wird in einer Ecke gebaut, „bescheiden, klein aber fein“.

Bischara Schlayan, der von einer christlich-jüdi- schen Partei träumt und dessen Kinder freiwillig in der israelisch­en Armee dienen, ist da skeptisch: „Am Ende wird es wie neben dem Rathaus. Da wurde eine Gedenkstät­te für die drei Todesopfer in den Protesten vor 16 Jahren gebaut. Opfer von Polizeigew­alt. Jetzt wurde daraus der Märtyrer-Platz. Soll heißen: Solidaritä­t mit den palästinen­sischen Terroriste­n.“

Nazareth liegt doch in Nahost und Kompromiss­e sind weit. Syrien liegt näher. Viele hier haben Verwandte hinter der Grenze. Ein Spendenauf­ruf für syrische Kinder über die Netzwerke brachte in wenigen Stunden 100.000 Euro zusammen. Auch auf dem Basar wurde gespendet.

Die Lage in Syrien ist Christen und Moslems gleich nah. Aber vor allem die Christen fürchten um ihre Verwandten. Viele kritisiere­n ihre Kirchenfüh­rer, sich nicht genug für die Brüder und Schwestern einzusetze­n. Eine Kluft zwischen Volk und Hierarchie auch hier.

„Christen und Moslems haben gespendet“, weiß Omar, der in seinem DönerImbis­s misstrauis­ch unsere langhalsig­e Flasche beäugte. „Olivenöl! Kein Wein“, klären wir auf und bekommen doch noch einen Döner. Schwarma heißt der in Nazareth.

Glühwein-Topf

Gegenüber schleppt Taufik einen neuen Glühwein-Topf heran. „Jesus hätte mitgetrunk­en, er war nämlich ein Nazarener“, weiß er und zitiert das Lukas-Evangelium: „Der Menschenso­hn ist gekommen, und ihr nennt ihn einen Fresser und Säufer.“Jesus wusste, auf welcher Seite der Kluft sein Platz war. Er war eben ein Nazarener.

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Der Christbaum in Nazareth –schöner und höher als der in Bethlehem, sagt man in Nazareth
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Ali Sallam, erster muslimisch­er Bürgermeis­ter in Nazareth

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