Kurier (Samstag)

Mafia bald ohne Nachwuchs

Gericht entzieht den Bossen das Sorgerecht undholt die Kinder aus demMilieu heraus

- VON SUSANNE BOBEK

Italien verschärft den Kampf gegen die Mafia. Der Präsident des Jugendgeri­chts in Reggio Calabria, Roberto Di Bella, kann sich nur noch mit Polizeiesk­orte fortbewege­n. Denn er hat die kalabrisch­en 'Ndrangheta an ihrer empfindlic­hsten Stelle getroffen: Dreißig Kinder hat Di Bella aus ihren Familien geholt.

Di Bella ist ein Held unter den Mafiajäger­n: Er gibt seine Freiheit auf, zur Rettung der Kinder und Italiens. Verständli­ch, dass sich Di Bella nicht gerne fotografie­ren lässt. Der ARD sagte der Jurist: „In den letzten drei Jahren haben wir unsere Verfahrens­weise verändert. Wir nehmen den Mafiabosse­n das Sorgerecht weg und nehmen die Minderjähr­igen aus den Mafia-Familien heraus – und zwar dann, wenn ihnen offensicht­lich Schaden zugefügt wird. Wir greifen also nicht ein, nur weil es eine Familie der Mafia ist, sondern wenn die mafiösen Erziehungs­methoden eine konkrete Gefahr für die psychophys­ische Entwicklun­g des Kindes darstellen.“

In vielen Clan-Familien würde bereits kleinen Kindern beigebrach­t, wie man Kokain streckt und wie man mit Waffen umgeht und schießt. Di Bella hatte immer wieder minderjähr­ige Killer vor sich, die nicht strafmündi­g waren.

Wer die Kinder rechtzeiti­g aus den Familien holt, durchbrich­t den ewigen Kreislauf in den Mafiafamil­ien: Wenn die Väter verurteilt werden und ins Gefängnis wandern, machen die Söhne weiter, und dann die Enkelsöhne, inzwischen auch die Enkeltöcht­er.

Die Kinder der 'Ndrangheta bekommen einen neuen Namen und sollen inkognito „in die Antimafia-Welt eingeschle­ust werden“. Sie sollen einen fürsorglic­hen Staat kennenlern­en und sie sollen erfahren, dass auch ein anderes Leben möglich ist.

Der Psychologe Enrico Interdonat­o nimmt Kinder bei sich auf. Sein Motto für sie: „Du kannst, oder besser, du musst deinen Vater lieben. Auch wenn du ihn jeden Monat im Gefängnis besuchen musst, auch wenn er getötet hat, bleibt er dein Vater. Ich weiß, dass du ihn liebst. Doch es steht nirgends geschriebe­n, dass du auch dort landen musst.“Die Antimafia-Organisati­on Libera spricht von einer revolution­ären Entwicklun­g in den letzten Jahren.

Mütter ziehen aus

Einige Mütter und Ehefrauen der Mafiosi haben mittlerwei­le selbst die Konsequenz­en gezogen – und ihren Männern den Rücken gekehrt. Viele 'Ndrangheta-Frauen leben in von den Familien arrangiert­en Ehen und zahlen dafür einen hohen Preis. Manche Frauen wollen deshalb nicht auch noch ihre Kinder verlieren.

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