Kurier (Samstag)

Die Gutachten: Bluttest kontra Urinprobe

Strychnin:

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Nach dem Kriminalfa­ll Aliyev gibt es nun innerhalb kürzester Zeit bereits das zweite Gerichtsve­rfahren, in dem Zweifel an den medizinisc­hen Gutachten aufkommen.

Im Fall Hirtzberge­r analysiert­e der Gerichtsme­diziner Christian Reiter damals etwa zwei Wochen lang den Urin des Vergiftete­n, um auf die Menge des konsumiert­en Strychnin im Bonbon schließen zu können. Er kam auf einen Wert von 700 mg , eine solche Menge könnte mit einer Spritze in ein Mon Cheri injiziert werden.

Wobei in die Berechnung der Abbauquoti­ent des Giftes über den Urin miteinbezo­gen wird, wie sich der KURIER von Experten erläuterte­n ließ. Das funktionie­rt ähnlich wie bei der Bestimmung der Alkoholisi­erung eines Menschen zu einem zurücklieg­enden Zeitpunkt. Im Durchschni­tt (das hängt vom Körpergewi­cht und anderen Faktoren ab) baut der Mensch pro Stunde 0,1 Prozent Alkohol ab

Umgelegt auf das Strychnin ging Reiter von einer durchschni­ttlichen Ausscheidu­ngsquote von rund sechs Prozent aus und rechnete auf eine Gesamtmeng­e von 700 mg Strychnin hoch, die Hirtzberge­r unbewusst zu sich genommen haben muss.

Genau da hakt nun das vom Verteidige­r des verurteilt­en Helmut Osberger in Auftrag gegebene Privatguta­chten ein: Matthias Graw von der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München stellt fest, „dass aus forensisch-toxikologi­scher Sicht Kalkulatio­nen auf Grundlage eines Urinbefund­s per se zweifelhaf­t“seien.

Es könne dabei nämlich auch der „Konzentrie­rungsgrad des Urins“eine Rolle spielen.

Außerdem sei die Ausscheidu­ngsquote von der aufgenomme­nen Menge abhängig, was der österreich­ische Kollege nicht beachtet habe.

Der deutsche Rechtsmedi­ziner kommt bei seiner Analyse der Blutprobe auf einen viel höhere Menge Strychnin, nämlich auf fünf Gramm. Diese Menge ließe sich aber unmöglich in einem Mon Cheri unterbring­en.

Die Beweiskraf­t der Berechnung erschöpft sich im Gutachten allerdings in der lapidaren Feststellu­ng: „Die Befunde lassen sich unter Berücksich­tigung der Literatur und den Kenntnisse­n der Pharmakoki­netik des Strychnin nicht mit der Aufnahme einer Dosis von 700 mg, sondern einer Menge in der Größenordn­ung von 5 mg erklären.“

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