Kurier (Samstag)

Buster Keaton im Paradies

Der britische Schriftste­ller zeigt in einem Zeltlager das Dilemma der ganzen Welt Bücher

- VON PETER PISA

Es ist nur für wenige Menschen verständli­ch, dass das Universum vor 14 Milliarden Jahren klein wie ein Stecknadel­kopf war, ziemlich zusammenge­presst also.

Es kann demnach auch nicht mehr verwundern, wenn sich der britische Schriftste­ller Magnus Mills bloß eine Wiese herrichtet, hier und heute eine große Wiese, die im Süden feuchter ist (was aber jetzt nicht gar so wichtig ist).

Auf dieser Wiese findet die Geschichte Englands statt – nein, das Dilemma der gesamten Menschheit.

Man muss das beim Lesen gar nicht bemerken. Es kommen halt immer mehr Leute, stellen ihre Zelte auf und schmücken sie, einige bauen die Zelte ab und reisen mit dem Schiff weiter.

2200 Schafe

Im Original heißt Mills staubtrock­ene Komödie „The Field of the Cloth of Gold“(=Camp du Drap d’Or).

An diesem historisch­en Ort bei Calais hatten im Jahr 1520 der französisc­he und der englische König sowie Tausende Begleiter ein Treffen abgehalten, um den Frieden zu besiegeln und ihre jeweilige Macht zu demons- trieren. Wahrschein­lich in umgekehrte­r Reihenfolg­e.

Das Lager zählte damals 2800 prunkvolle Zelte, und unter anderem wurden 2200 Schafe verspeist.

In „Das Paradies möglicherw­eise“sind es immer nur selbst gebackene Kekse, und wenn sich eine Legion niederläss­t, die mit den alten Römern Ähnlichkei­ten hat, dann wird in der Feldküche immerhin Pudding gekocht.

Besteck und Teller muss man selber mitbringen.

Die Figuren, die die Wiese bevölkern, bleiben Strichmänn­chen. Man kommt ihnen nie nahe. Das macht nichts. Der Turm beim Schachspie­len hat ja auch kein Gesicht, doch was der vollbringe­n kann, schlägt mitunter ein.

Die Wiese an der Biegung eines Flusses, man hat es verstanden, könnte das Paradies sein. Die Menschen vertreiben sich selbst.

Zuerst war die Wiese kaum bevölkert, der Erzähler (ein Herr Jedermann, also letztlich ein gefährlich­er Opportunis­t) gehört zu den Ureinwohne­rn.

Aber dann kommt eine Frau, die gern nackt im Fluss schwimmt; dann kommen Römer und bemühen sich um Disziplin. Ein Graben wird geschaufel­t. Ein Erdwall entsteht. Römer gehen, Wikinger landen. Das Misstrauen ist in der Welt. Die Angst vor dem anderen. Ein Typ mit wallendem Gewand gebärdet sich königlich.

Keine Götzen

Und dann naht die Religion in Gestalt eines Bloßfüßige­n – der es entsetzlic­h findet, dass die Keksbäcker so viel Gschistigs­chasti wegen ihrer Kupferbade­wanne machen.

Die haben halt Zeit und polieren sie gern und oft.

Aber du sollst keine Götzen anbeten usw ...

Es gibt keine sprechende­n Tiere und Zwerge im Schwammerl­haus. Trotzdem ist diese Wiese ein mystischer Ort.

Es gibt auch keine Gewalt im Buch – Sabotage mit durchtrenn­ten Zeltschnür­en ist das Schlimmste. Aber es ist sicher: Wird das Buch zugeklappt, beginnen die Kämpfe.

Magnus Mills ist in Großbritan­nien eine fixe Größe. Man stelle sich ihn als Buster Keaton der Literatur vor: Ihm kommt kein Schmunzeln aus. Das ist unsere Sache.

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Nach seiner „Auferstehu­ng“exkommuniz­iert: Lew Nikolajewi­tsch Graf Tolstoi (1828–1910)
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Wie Buster Keaton: Magnus Mills, Jahrgang 1954
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