Kurier (Samstag)

„Wir werden mehr Geld brauchen“

Wie die Bildungsmi­nisterin und eine NMS-Direktorin die geplanten Reformen einschätze­n

- VON BERNHARD GAUL

„Ein Drittel meiner Schüler sind nicht vermittelb­ar. Das ist eine verlorene Generation“, klagte die Wiener NMS-Direktorin Andrea Walach im März im KURIER – und löste damit eine breite Debatte über Risikoschü­ler und das Versagen der Schulpolit­ik aus. Der KURIER bat die Direktorin und Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id zum Gespräch. KURIER: Frau Direktor Walach, wie ist es Ihnen seit dem Bericht im KURIER ergangen? Andrea Walach: Es ist seither sehr viel in Bewegung geraten. Mithilfe des Stadtschul­rates konnten wir den Schulallta­g – wie wir glauben – optimal umstellen. Wir arbeiten jetzt in homogenen Kleingrupp­en, damit ist die individuel­le Förderung jedes Kindes möglich geworden. Und wir arbeiten in Doppelstun­den, wie das die Wissenscha­ft als besonders förderlich vorschlägt, denn wenn ich sechs einzelne Schulstund­en habe, können Themen doch nur kurz angerissen werden. Sonja Hammerschm­id: Das klingt für mich alles sehr gut, und wie die Vorwegnahm­e unseres Autonomiep­akets, das derzeit verhandelt wird. Ich habe mich ja viel umgehört in den Schulen, mit Lehrern und Schülern gesprochen. Diese Erfahrunge­n haben wir einfließen lassen. Ich will, dass den Schulen weitreiche­nde Freiheiten gegeben werden, wie sie ihren Schulallta­g gestalten wollen. Denn an jedem Schulstand­ort bestehen unterschie­dliche Notwendigk­eiten. Walach: Das klingt schon alles sehr gut für mich, fast wie eine neue heile Welt, die sich uns eröffnet. Ich bin nur vorsichtig, weil viele fürchten, dass sich der organisato­rische Rahmen öffnen soll, aber nicht der pädagogisc­he. Hammerschm­id: Nein, die pädagogisc­he Öffnung ist ja das Kernstück der Reform. Damit Sie, Frau Direktor, und alle anderen Schulleite­r das Beste heraushole­n können. Es soll ein Umfeld geschaffen werden, in demdie Kinder optimal unterricht­et werden können. In Kleingrupp­en, in größeren Blockvorle­sungen, mit Projekttag­en und -wochen. Diese Reform wollen wir nun rasch umzusetzen. Walach: Wir haben eine so große Bandbreite an Schülern. Da sind manche amSprung in eine AHS-Oberstufe, andere nur auf Niveau einer Sonderschu­le. Das ist unsere größte Herausford­erung. Hammerschm­id: Hilft ihnen da die Möglichkei­t zum Teamteachi­ng? Walach: Leider scheitert das schon an grundsätzl­ichen Dingen. Das beginnt damit, dass Kinder unterschie­dliche Unterricht­smateriali­en brauchen, andere Arbeitsbüc­her und ein anderes Arbeitstem­po. Das ist auch mit zwei Lehrern in der Klasse nicht schaffbar. Weil das Ziel bleibt natürlich, dass kein Kind zurückblei­bt. Und wie lösen Sie das nun, da sie viel mehr Ressourcen bekommen haben? Walach: Wir teilen die Kinder wie beim Sport in Leistungsg­ruppen ein, und unterricht­en in Kleingrupp­en. Die besten Zwölf kommen zum ersten Lehrer, die nächstbest­en zu einem anderen und so weiter. So können wir deutlich individuel­ler unterricht­en, und, wie ich glaube, auch mit viel mehr Erfolg. Diese Schule ist ja nur eine von über fünftausen­d in Österreich. Wie wollen Sie die Probleme flächendec­kend lösen? Hammerschm­id: Wir haben im Herbst Mittel aus dem Integratio­nstopf freigemach­t, 80 Millionen Euro, die den Schulen über einen Chancenind­ex nach zwei Kriterien zur Verfügung gestellt werden: Welchen Schulabsch­luss haben die Eltern der Schüler, und ist Deutsch die Mutterspra­che der Kinder. Für das Geld können die Schulen, je nachdem was sie brauchen, Sprachpäda­gogen, Sozialarbe­iter, Psychologe­n und so weiter einsetzen. Das ist ein erster Schritt. Walach: Wir haben aus diesen Mitteln bei uns neun zusätzlich­e Stunden zur Verfügung gestellt bekommen. Aber leider gibt es keine Lehrer, wir finden niemand. Also musste ich meine Lehrer, die ohnehin schon sehr überlastet sind, bitten, diese Stunden zusätzlich auf sich zu nehmen. Und ab jetzt kann ich auch Sozialarbe­iter anstellen, für 15 Stunden pro Woche. Doch leider, bisher habe ich niemand gefunden, es gibt einfach kein Personal. Hammerschm­id: Weil die Stadt Wien derzeit einfach niemand zur Verfügung stellen kann? Walach: Ja leider. Dabei brauchen wir die zusätzlich­en Lehrkräfte ganz dringend. Umso gewaltiger finde ich das, was unsere Lehrer angesichts dieser Personalno­t jetzt schon leisten. Frau Minister, was planen Sie bei diesem Chancenind­ex? Und wie wollen Sie verhindern, dass Geld von den besseren Schulen zu den schlechter­en verschoben wird? Es gibt ja bisher kein zusätzlich­es Schulbudge­t. Hammerschm­id: Mein Ziel ist, diesen Chancenind­ex in ganz Österreich flächendec­kend umzusetzen. Wir haben jetzt 80 Millionen für das nächste Jahr. Alles Weitere muss erst verhandelt werden. Aber ja, klar ist, es wird mehr Geld benötigt werden, und dafür werde ich mich einsetzen. Mehr Geld ist bereits für den Ausbau der ganztägige­n Schulforme­n beschlosse­n worden. Denken Sie, das könnte auch an Ihrem Standort helfen? Walach: Das bieten wir jetzt schon an, die Kinder würden auch gerne am Nachmittag bei uns bleiben, doch dafür reichen unsere Ressourcen nur zu einem Teil. Wir müssen viele Kinder, die gerne bleiben würden, oft nach Hause schicken. Die Mittel werden jetzt von unserem normalen Bildungsko­ntingent abgezogen. Hätten wir davon mehr, wäre den Kindern sicher enorm geholfen. Hammerschm­id: Nun können Sie aber ein Konzept einreichen für eine Nachmittag­sbe- treuung, Geld ist vorhanden, immerhin hat die Regierung 750 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Walach: Das haben wir schon gemacht. Bisher ist das leider an ganz banalen Dingen gescheiter­t: Unser Standort wurde renoviert, doch das Stromnetz verkraftet nur Wasserkoch­er oder Herdplatte. Beides zusammen geht nicht. Können Sie sich vorstellen, aus Ihrer Schule ein Ganztagssc­hule zu machen? Walach: Ich bin ein erklärter Gegner der Ganztagssc­hule, aber ein Fan der offenen Form, mit Unterricht am Vormittag, eine Stunde Mittagspau­se und dann eine Stunde Aufgabenbe­treuung und noch zwei Stunden, für die sich die Schüler individuel­l entscheide­n können, ob sie Sport machen wollen, etwas Kreatives oder einfach nur Stoff wiederhole­n wollen. Hammerschm­id: Für mich klingt das aber schon sehr nach einer ganztägige­n Schulform. Das soll ja kein starres System sein, sondern jede Mischform möglich machen, die als sinnvoll erachtet wird. Die pädagogisc­hen Konzepte müssen am Standort entschiede­n werden. Sie wissen am besten, was es braucht.

 ??  ?? Theorie und Praxis: Bildungsmi­nisterin Hammerschm­id (links) erläutert im Gespräch mit NMS-Direktorin Walach ihre Reformplän­e, die Pädagogin macht auf die Probleme der Lehrer im Schulallta­g aufmerksam
Theorie und Praxis: Bildungsmi­nisterin Hammerschm­id (links) erläutert im Gespräch mit NMS-Direktorin Walach ihre Reformplän­e, die Pädagogin macht auf die Probleme der Lehrer im Schulallta­g aufmerksam

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