Kurier (Samstag)

Breite ÖVP-Front für Kopftuchve­rbot

Minister Kurz erntet für seinen Vorstoß Kritik von Muslimen, aber Sympathien aus den Ländern

- VON BERNHARD ICHNER UND RAFFAELA LINDORFER

Die Forderung von Außenund Integratio­nsminister Sebastian Kurz (ÖVP) nach einem Kopftuch-Verbot im öffentlich­en Dienst sorgt bei Österreich­s Muslimen für massive Empörung. Die Islamische Glaubensge­meinschaft (IGGÖ) weist den Vorstoß als „anti-integrativ und diskrimini­erend“zurück. Frauenbeau­ftragte Carla Amina Baghajati – selbst Religionsl­ehrerin – wertet Kurz’ Initiative als Akt der Erpressung. „Emanzipier­te, gebildete Musliminne­n sollen so aus dem Staatsdien­st zurück in die Küche gedrängt werden“, mutmaßt sie.

IGGÖ-Präsident Ibrahim Olgun (siehe auch Interview auf Seite 17) appelliert an Kurz, die Forderung zurückzune­hmen, da sie „einer weiteren Zusammenar­beit zwischen der Glaubensge­meinschaft und dem Integratio­nsminister­ium den Boden unter den Füßen zu entziehen droht“. Bliebe es dabei, würde aus dem geplanten Integratio­ns- ein Diskrimini­erungspake­t, sagt Olgun.

„Falsches Signal“

Baghajati ist nicht zuletzt empört, weil der Vorschlag „wieder einmal von Männern kommt, die den Frauen vorschreib­en wollen, wie sie sich zu kleiden haben“.

Zudem sei die Optik fragwürdig: „Wenn Frauen mit Kopftuch putzen gehen, ist das okay. Aber sobald eine Muslimin höher qualifizie­rt und an ihrem Arbeitspla­tz sichtbar ist, ist es ein Problem.“Gerade Bedienstet­e des öffentlich­en Dienstes hätten „eine positive Grundeinst­ellung zum Staat nicht nur verinner- licht“, sondern seien „Multiplika­torinnen der Rechtsstaa­tlichkeit und Loyalität zu Österreich“. Ihnen diese Eignung abzusprech­en abzusprech­en, sei „ein Signal in die völlig falsche Richtung“.

Da das Diskrimini­erungsverb­ot am Arbeitspla­tz Arbeitgebe­rn seit 2004 untersagt, einer Bewerberin aufgrund ihres Kopftuchs abzulehnen, sei Kurz’ Vorstoß besonders pikant, meint man bei der IGGÖ. Sollte doch gerade der Staat „hier mit gutem Beispiel vorangehen und mit seiner Einstellun­gspolitik die Vielfalt der Gesellscha­ft abbilden“.

ÖVP-Mitglieder aus den Bundesländ­ern stärkten Kurz am Freitag den Rücken: In Vorarlberg hält Landeshaup­tmann Markus Wallner das Kopftuchve­rbot für „durchaus vorstellba­r“. In Oberösterr­eich fordert Thomas Stelzer, Landeshaup­tmann in spe, eine„unaufgereg­te Diskussion.“Und in der Steiermark sagt Hermann Schützenhö­fer: „Wir müssen unsere Werte wie Freiheit und Gleichbere­chtigung verteidige­n.“

Vor allem in Schulen

Zum öffentlich­en Dienst gehört bekanntlic­h auch das Schulwesen – Integratio­ns- minister Kurz hält das Kopftuchve­rbot vor allem dort für wichtig: „Weil es dort um Vorbildwir­kung und Einflussna­hme auf junge Menschen geht.“In Österreich geben 600 Lehrer islamische­n Religionsu­nterricht, etwa die Hälfte davon sind Frauen, die laut IGGÖ alle Kopftuch tragen.

Obwohl Kurz betont, dass Österreich säkular (Trennung von Kirche und Staat) sei, will er das Kreuz im Klassenzim­mer nicht infrage stellen. Diese Tradition sei historisch gewachsen und verfassung­srechtlich abgesicher­t.

Frankreich ist da schon konsequent­er: Der Laizis- mus ist gesetzlich verankert. Das Tragen von religiösen Symbolen ist Lehrern deshalb seit 1905 verboten, seit 2004 auch Schülern und Studenten.

In der Schweiz ist die Kopftuchfr­age zwar national nicht eindeutig geklärt, in der Praxis wird es Lehrerinne­n aber untersagt. Der Anlassfall war 1996 in Genf: Eine Pri- marlehreri­n musste ihr Kopftuch ablegen. Der Entscheid wurde vom Bundesgeri­cht und vom Europäisch­en Gerichtsho­f bestätigt.

In Deutschlan­d wird von Fall zu Fall entschiede­n, ob ein spezifisch­es Kopftuch einer spezifisch­en Lehrerin „den Schulfried­en stört“. So hat es das Bundesverf­assungsger­icht 2015 bestimmt.

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Mehr als die Hälfte der 600 islamische­n Religionsl­ehrer sind Frauen. Alle tragen Kopftuch
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