Der Provokateur
Mit Aussagen über Demos, Flüchtlinge oder das Unterschreiben des Koalitionspakts polarisiert der Innenminister bei (Partei-)Freund und Feind.
Zwei Tage vor einer von ihr angemeldeten Akademikerball-Demo bekam die ÖHVorsitzende Karin Stanger (Gras) Post von der Wiener Polizei. Sie solle sich rechtfertigen, warum sie bei einem friedlichen Protest im Juni mit rund 200 Teilnehmern nicht auf das Vermummunungsverbot geachtet habe. Ein Strafverfahren wurde bereits eingeleitet, ihr droht nun eine Geldstrafe.
Geht es nach den Wünschen von Innenminister Wolfgang Sobotka, dann ist dies erst der Anfang. Künftig sollen die Organisatoren einer Demonstration für alle Schäden durch Teilnehmer haftbar gemacht werden. Außerdem sollen so genannte „Spaß-Demos“untersagt werden oder zumindest nur zu bestimmten Zeiten an gewissen Orten erlaubt sein.
Beifall bekommt Sobotka von der eigenen Partei (von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner abwärts), der FPÖ, der Wirtschaftskammer und dem Team Stronach. Alle anderen sind kritisch bis total ablehnend – von SPÖ, Grünen, Neos über NGOs (wie Amnesty International oder Greenpeace) bis hin zum Handelsverband und Verfassungsrechtlern. Sie sehen die Grundrechte in Gefahr. SOSMitmensch hat als Reaktion bereits eine Online-Petition gegen den Plan des Innenministers gestartet.
„Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen“, heißt es in der Menschenrechtskonvention. Drei Punkte in dem Sobotka-Plan sind brisant und könnten dagegen verstoßen: 1 Die Behörde muss laut dem Sobotka-Plan prüfen, ob es sich um eine reine „Spaß-Demo“handelt. Diese kann dann untersagt werden.
Auf den ersten Blick klingt das verlockend: Eine skurrile Bademantel-Demo am Ring könnte künftig verhindert werden. Gleiches gilt für Veranstaltungen wie die Streetparade, die als Demo angemeldet werden, um sich Steuern und Ordner zu ersparen. Doch der Vorschlag birgt enorm viel Sprengstoff, denn die Polizeibehörde entscheidet dann nach eigenem Ermessen, was unter so ein Verbot fällt: Doch wo hört die Spaß-Demonstration auf und wo beginnt der legitime politische Protest? Für manche fällt vielleicht auch ein Protest des Team Stronachs unter den Begriff „Spaß-Demo“. 2 Die Regierung oder der Innenminister sollen per Verordnung festlegen können, an welchen Orten zu welchen Zeiten nicht demonstriert werden darf.
Dies ist vor allem eine „Lex Mariahilferstraße“. Kaum ein Adventsamstag vergeht, ohne dass dort ein Protestmarsch stattfindet. Auch in anderen Innenstädten Österreichs protestiert die Wirtschaft gegen die vielen Proteste. Kritiker der geplanten Verbots-Zonen wenden ein: Eine Demonstration lebt auch von der Aufmerksamkeit. Künftig könnten Großdemonstrationen etwa gegen die Regierung z .B. auf Montag von 10 bis 12 Uhr in die Felder und Wiesen von Wien-Donaustadt verlegt werden. Geschäftsinteressen reichen laut Plan aus, um so etwas möglich zu machen – und in jeder Stadt gibt es wohl geschäftliche Interessen von irgendjemandem. So könnte auch untersagt werden, vor dem eigenen Haus , das unmittelbar an einer Autobahn liegt, gegen Tempo 200 zu demonstrieren, weil die Spediteure darunter leiden könnten. 3 Jede Demo benötigt einen „Versammlungsleiter“– dieser kann zivilrechtlich haftbar gemacht werden, etwa wenn Geschäfte beschädigt werden.
Die ÖH-Vorsitzende Karin Stanger spricht schon jetzt unter Hinweis auf den jüngst erhaltenen Brief von einem „Einschüchterungsversuch“. Der Sobotka-Plan ist für sie „absurd und eine absolute Frechheit“. In Rumänien etwa mischten sich vor wenigen Tagen Hooligans unter die Demonstranten gegen die Regierung, möglicherweise im Auftrag des Staates. Durch das Einschmuggeln von Radaubrüdern in politische Demos könnten so die Organisatoren zu horrenden Zahlungen gezwungen werden.
Parallel dazu sollen die Strafen erhöht werden. In Deutschland etwa drohen bei Verstößen gegen das Versammlungsgesetz bis zu drei Jahre Haft, in Österreich „nur“eines. Dies gilt etwa für vermummte Demonstranten im Wiederholungsfall. Die Mehrheit der Übertretungen sind hiezulande aber mit sechs Wochen Arrest und einer Geldstrafe bis zu 720 Euro bedroht – weit weniger als in Deutschland. Sobotka rudert bereits zurück: Der „Versammlungsleiter“soll nur dann haftbar sein, wenn er selbst bei Rechtswidrigkeiten erwischt wird.
Kern versus Sobotka
Bundeskanzler Christian Kern kontert: „Demorecht geht vor Geschäftsinteressen.“„Völlig inakzeptabel“sind auch für SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim die Vorschläge. Mit „demokratiepolitisch höchst problematischen“Ankündigungen versuche Sobotka, „Wirbel zu schlagen, damit er in der Zeitung steht“.
„Das Demonstrationsrecht darf nicht dazu benutzt werden, um unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung regelmäßig die halbe Stadt lahmzulegen“, sagt hingegen FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl. Team Stronach-Generalsekretär Christoph Hagen erwartet „weniger Radau und Krawalle“, wenn Demoveranstalter für Schäden haften.
Unverständnis für die Kritik kam vom Innenminister selbst. Sein Vorschlag für ein neues Versammlungsrecht werde „selbstverständlich verfassungskonform und entsprechend der Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention“vorgelegt.
Die Berichte zur Akademikerball-Demo finden Sie im Chronik-Teil und auf kurier.at.